Der ungewöhnlich lange Literaturraum Donau ist ein außergewöhnlicher Fluss, denn kein anderes Gewässer Europas verbindet so viele Länder, Sprachen, Konfessionen und Kulturen.
Der französische Philosoph Michel Foucault beschrieb unsere Zeit als "ein Zeitalter des Raumes“. Nicht die Distanz sei Thema der Literatur, sondern "das, worin die Sprache uns jetzt gegeben ist und bis zu uns gelangt: das, was macht, dass es spricht“. Ähnliches erzählten auch Karten in der Antike über die Donau, nämlich, dass die Donau nicht nur Flüsse, Städte und Länder miteinander verband, sondern auch die zwei Welten "Abendland“ und "Morgenland“. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Donau zum Sinnbild für die kulturelle Vielfalt des Vielvölkerstaates der Habsburger Monarchie. Neben der wirtschaftlichen und militärischen Bedeutung war die Donau immer auch ein Sehnsuchtsraum, ein Ort "jenseits der Geschichte“, ein Schauplatz von Sagen, Gedichten und Erzählungen. Reiseberichte erzählen bis heute von den unterschiedlichen Kulturen und vielfältigen Sehenswürdigkeiten entlang des Flusses. Und es stellen sich immer wieder Fragen über den 2850 km langen Literaturraum Donau, z.B., ob es eine für alle Anrainerländer, alle an ihr angesiedelten Sprach- und Kulturräume gemeinsame, identitätsstiftende Erzählung über diesen Fluss gibt, und nicht zuletzt wie sehr sich diese im Zuge der politischen Umbrüche des "langen“ 20. Jahrhunderts verändert haben. Mögliche Antworten finden sich in zahlreichen literarischen Werken, mehr oder weniger beginnend mit dem "Nibelungenlied“ aus dem 13. Jahrhundert. Die Burgunden begeben sich entlang der Donau auf eine lange Reise und werden von zwei weissagenden Wasserfrauen vor dem nahestehenden Untergang gewarnt. Heute noch erinnert das weite Tal zwischen Ybbs und Melk - der Nibelungengau - an das mittelalterliche Heldenepos. Nicht ganz so alt, aber definitiv auch nicht mehr jung, ist Hölderlins Donau-Hymne "Der Ister“ von ca. 1806, die auf Eindrücke basieren, die Hölderlin durch seine Wanderungen an der Donau erlangt hat. Hölderlin erwähnt in seinem Gedicht allerdings an keiner Stelle die Donau, sondern spricht konsequent vom altgriechischen "Istros“, der antiken Bezeichnung für die Donau. In Hölderlins Stromdichtung werden politische, ideologische, ethnische und kulturelle Grenzen überschritten, im alles versöhnenden Projekt einer idealen Weltharmonie. Bleiben wir gleich beim Namen. Der in Triest geborene Autor Claudio Magris verwendete die Donau in "Biographie eines Flusses“ (1988) als Symbol für Veränderungen und Transformationen, denn schließlich hat die Donau viele Namen, bevor sie nach 2850 Kilometern ins Schwarze Meer mündet: Donau, Dunaj, Duna, Dunar, Dunai.
Die Donau als Sehnsuchtsraum
Begeben wir uns in die jüngere Vergangenheit, dann lesen wir in zeitgemäßer Sprache, dass die Donau ein "großer Integrator“ ist, wie es der ungarische Autor Péter Esterházy im Roman "Donau abwärts“ (1992) formulierte. In seinem Roman hat er sich einen besonderen Spaß daraus gemacht, Zitate zur Donau zu verwenden, die das Lesepublikum finden muss wie Ostereier im hohen Gras, oder, wie Literaturwissenschaftlerin Edit Király erklärt: "Es war ihm nicht wichtig über eine Reise zu schreiben. Das Buch sage mehr über die Zeit aus, als über den Ort; entstanden ist es zwischen 1988 und 1991, also zur Wende.“ Die Donau eignete sich somit auch immer schon als Kulturmetapher, als ein flüssiges Kontinuum, das letztendlich eine Poetik des Offenen gelten lässt. So, wie die Donau alles Wasser in sich aufnimmt, gehen alle Worte in der Sprache auf und vermischen sich. Ferdinand Schmatz formte so seine polyphone Poesie im Gedichtband "Quellen“ (2010), im Zentrum dessen die Donau steht. Motive werden wiederholt, ein ständiges Wogen und Gurgeln der Worte stellt sich ein. Die Macht des Donaustroms ist hier - in "donaupalast, gestiftet" - zu Monumenten aus Stein geronnen, "zum prunk des stiftenden donnerns“. Die für die Literatur magische Anziehungskraft des zweitlängsten Stroms Europas erklärt sich also fast schon von selbst, da die Donau als Wasserweg sehr heterogene Kultur- und Wirtschaftsräume verbindet und dabei zehn Länder durchfließt - so viele wie kein anderer Fluss auf der ganzen Welt. Die Donau ist ein Sehnsuchtsraum, das sprachlich präzise beleuchtet wird, wie z.B. im Debüt-Roman "Baba Rada“ (2011) von der rumänischen Autorin Dana Grigorcea. Ihre Figuren agieren dabei in einem Erzählraum, dessen Horizonte im gleißenden Sommerlicht oder bei eisiger Kälte ausbleichen. Das rumänische Donaudelta, wo ihr Buch spielt, ist eine entlegene Gegend, in der eigene Gesetze zu gelten scheinen. Ein besonderes literarisches Zeugnis für die Magie der Donau ist "Malina“ (1971) von Ingeborg Bachmann. In diesem Roman schafft das Märchen der Prinzessin von Kagran einen zeitlosen mythischen Raum ohne Grenzen, die urtümliche wilde Donau und die Donau-Auen, in die die Prinzessin entführt worden ist, bilden dafür den Imaginationsraum. Im "Donauweibchen“ (1960) von H. C. Artmann und Gerhard Rühm wiederum kommt Elfi, die Tochter des Wassermanns Danubius, über die Wasserleitung nach Wien und bezirzt die Halbstarken in einer Bar. Sie will ein Mensch mit Seele werden, was aber nicht gelingt, weil ihr Burli untreu ist. Andreas Okopenko hingegen lädt in seinem experimentellen "Lexikonroman“ (1970) die Leser:innen dazu ein, sich aus den alphabetisch geordneten Impressionen und Textbausteinen zu einer Donau-Schiffsreise von Wien in die Wachau selbst eine Geschichte zu basteln. Den Rahmen bietet die eintägige Donauschiffsreise des Chemiekaufmannes J. zum Exporteurtreffen in Druden, deren Strecke und Fahrplan der existierenden Route von Wien nach Dürnstein entsprechen, mit veränderten Ortsnamen, so wurde zum Beispiel das reale Dürnstein zum fiktiven Druden. Und auch Peter Handke, der bekanntermaßen den Nobelpreis für Literatur 2019 zugesprochen bekam, schrieb über die Donau in seinem 1995 erschienenem Buch "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“, das Gegenstand heftiger Diskussionen wurde. Wenn man das Buch allerdings liest erkennt man es als pro-europäische Wahrnehmung, die vielen die Augen für unseren vom einseitigen Medienkonsum verstellten Blick öffnen hätte sollen. Und in "Die Morawische Nacht“ (2008) schrieb Handke über sieben geladene Gäste auf einem Hausboot, um der Erzählung eines ehemaligen Autors zu lauschen, seiner Erzählung einer Reise ans Ende der Nacht. Der Wanderer wird Legenden, Märchen, Gedichte, Erzählungen, Romane, Reiseberichte, Essays, Tagebücher entdecken und die Vielfalt bestaunen, die der Strom anbietet. Handke, der Dichter der entzauberten, der unheimlichen Welt, sehnt sich zurück nach der Heimlichkeit: "zeig mir den Ort, wo du verborgen bist!“
Text und Fotos: Manfred Horak
Gefällt Ihnen der Artikel? Jeder Beitrag zählt!
paypal.me/gylaax
Kulturwoche.at ist ein unabhängiges Online-Magazin, das ohne Förderung von Bund/Stadt/Land bzw. Großsponsoring auskommt.