Geschichten wie die des österreichischen Journalisten Franz Fluch scheinen keine Einzelfälle zu sein: Nach einem Unfall musste er einen kafkaesken Kampf gegen Versicherungen, Gerichte und Behörden führen. Seine Arbeitsunfähigkeit durch einen unverschuldeten Fahrradunfall, sollte zur bitteren Wende für sein Leben werden. Ein jahrelanger Kampf um Schadenersatz brachte ihn an den Rand seiner Existenz. Seine Recherchen förderten ähnlich gelagerte Fälle zutage.
Verstrickungen von Versicherungswirtschaft, Politik und Justiz
In seinem "Schwarzbuch Versicherungen" greift er - mit seinem Fall - fünf Beispiele der 20 dokumentierten Fälle auf, um ein System hinter den Einzelfällen zu ergründen. Der Autor erzählt von Verstrickungen von Versicherungswirtschaft, Politik und Justiz, von Ärzten der Allgemeinen Unfallversicherung (AUVA), die nebenbei als Privatgutachter für Kfz-Haftpflichtversicherungen tätig seien. Er beschreibt Gutachten, mit deren Hilfe sich Versicherungen Schadenersatzzahlungen in Millionenhöhe ersparen. Kosten, die schlussendlich die Steuerzahler zu tragen hätten. In Österreich liege die Beweislast - egal wer am Unfall schuld ist - beim Unfallopfer. Es müsse daher der Nachweis erbracht werden, dass es einen kausalen Zusammenhang zum Schaden gibt und dieser nicht auf Vorschäden zurückzuführen ist. Das kann langwierig und teuer werden. Beim Wolfurter Adolf Stifter etwa dauerte es nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall 30 Jahre, bis die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung zahlte. Auch sein Verfahren um eine Versehrtenrente gegen die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) dauert mittlerweile mehr als vier Jahrzehnte.
Zeit ist Geld
Eine der Thesen des Buches ist, dass Versicherungen gerne auf Zeit spielen würden: Bei Schadenersatzforderungen über 10.000 Euro müsse das Unfallopfer die Versicherung verklagen, um zu seinem Recht zu kommen. Das allerdings kann teuer werden und deshalb komme es bei schweren Verkehrsunfällen in 99 % der Fälle gar nicht zu einem Prozess, so Fluch in seinem Buch. Er stellt die finanziellen Möglichkeiten einzelner Unfallopfer den Dimensionen gegenüber, in denen international agierende Versicherungen arbeiten: Die Zürich-Kosmos, wie 2002 die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung von Fluch hieß, sei eine weltweit tätige Finanzdienstleistungs-AG geworden, deren Gewinn im Bereich des Versicherungssektors laut Geschäftsbericht 2013 4,7 Milliarden Dollar betrug. Fluch kritisiert "Waffenungleichheit" in Gerichtsverfahren von Unfallopfern gegen Versicherungen. Eine Parlamentarische Bürgerinitiative für Unfallopfer bemängelt ebenfalls die Qualität der Gutachten, da gemäß einer Studie von 100 Gerichtsgutachten 80 % mangelhaft seien. Die von Fluch beschriebenen Fälle zeigen etwa Beispiele auf, in denen zum Nachweis von Unfall-Folgenschäden keine zeitgemäßen Untersuchungsmethoden angewendet wurden. So seien etwa Röntgenbilder bei Schleudertraumata ungeeignet. Laut einer parlamentarischen Anfrage bei AUVA-Unfallspitälern wurde allerdings keine wie in diesem Fall notwendige Funktionskernspintomographie-Untersuchung durchgeführt.
Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA)
Die AUVA ist gesetzliche Unfallversicherung, trägt Behandlungskosten und Versehrtenrenten bei Arbeitsunfällen und 50 % des Verdienstentganges. Außerdem betreibt sie sieben Unfallspitäler. Versehrtenrenten können aber mit einem Verweis auf "Vorschäden" abgewiesen werden. Dabei erscheint es heikel, wenn jene Institution, die als Leistungsträger für Versehrtenrenten fungiert, zugleich für den Nachweis und die Dokumentationen von Verletzungen zuständig ist. In Österreich entscheiden vor Gericht zusätzlich oft keine unabhängigen Gutachter, sondern AUVA-Ärzte, etwa beim Fall von Rosina Toth. Der Sachverständige, der ein Privatgutachten über sie erstellen sollte, war beim AUVA Rehabilitationszentrum Meidling angestellt. Demnach konnte er schlecht der Diagnose seines Arbeitgebers, eben jenes AUVA Zentrums widersprechen. Der Beweis, ob ein Schaden unfallkausal ist, muss vom Opfer unter Aufbietung hoher finanzieller Risiken erst erbracht werden, wie die Beispiele im "Schwarzbuch Versicherungen" zeigen. So kommt es zu Groteskem: Etwa wurde dem Untersteirer Helmut Cukman nach einem Unfall die Unfallkausalität abgesprochen, obwohl das Bundessozialamt einen - auf den Unfall zurückzuführenden - Invaliditätsgrad von 100 % erkannt hatte.
Spießrutenlauf mit Gerichten
Liest man die Geschichten der Unfallopfer und den Verlauf ihres Jahre und Jahrzehnte andauernden Spießrutenlaufs mit Gerichten, verflüchtigt sich das Vertrauen in die Instanzen. Praktisch jeder Mensch habe allerdings laut wissenschaftlicher Studien oft schon im frühen Erwachsenenalter an der Halswirbelsäule Vorschäden. So gesehen ist es leicht einen Schadenersatz mit einem Verweis auf Vorschäden abzuweisen. Die Statistik der AUVA zeigt, so der Autor, dass von 2000 bis 2005 nur 13 von 64 424 Schleudertrauma-Opfern eine Versehrtenrente zugesprochen wurde. Laut einer parlamentarischen Anfrage war unter diesen 13 Renten nur eine Dauerrente. Fluch zitiert einen Fall des ÖVP-Politikers Othmar Karas, der in der Wochenzeitung Profil skizziert worden war: Karas wurde nach zwei Autounfällen bei der Unfallversicherung als Invalider geführt und bekam eine Versehrtenrente von 17.000 Schilling netto überwiesen. Neben dieser Versehrtenrente bezog er noch sein Gehalt als Abgeordneter, dazu noch eine dritte Verdienstquelle als Vorstands-Assistent der Bundesländer-Versicherung in unbekannter Höhe.
Kosten werden von der Allgemeinheit getragen
Nur ein bis zwei Prozent aller Fälle landen bei Gericht. Das liege vor allem an den hohen Gerichtsgebühren und teuren Anwaltskosten, die sich die meisten Unfallopfer nicht leisten können. Die Kosten werden dann nicht von den Versicherungen, sondern von der Allgemeinheit getragen. Nach Lektüre des Buches vertrauensvoll auf ein gerechtes System hoffen, ist mit Sicherheit nicht leichter geworden. Das Buch von Franz Fluch gibt aber auch hilfreiche Tipps und zeigt, im Falle des Falles, welche medizinische Untersuchungen nötig sein können, um Unfallfolgen beweisen zu können. //
Text: Veronika Krenn
Fotos: Unfallopfer.at
Franz Fluch: Schwarzbuch Versicherungen. Wenn Unrecht zu Recht wird.
Bewertung: @@@@@
Verlag: mandelbaum kritik & utopie, Wien (2015)
262 Seiten
ISBN: 978385476-644-5