Danielewskis Debütroman "House of Leaves" entwickelte sich in den USA mit seinem Erscheinen im Jahr 2000 schnell zum Kultroman. Sieben Jahre später erschien das komplexe Werk in der Übersetzung von Christa Schuenke unter Mitarbeit von Olaf Schenk in der deutschen Fassung bei Klett-Cotta und erschloss sich auch in Deutschland sofort eine Fangemeinde. Nun liegt "Das Haus" als dreidimensionales Hörspielereignis vor.
Den Roman zeichnet eine hypertextartige Erzählstruktur sowie eine an die Konkrete Poesie angelehnte Typographie aus. Verschiedene Erzählstränge werden parallel geführt und im Verlauf der Geschichte miteinander verwoben, auf eine Linearität des Erzählens wird verzichtet. Die meist unzuverlässigen Erzählerstimmen werden in unterschiedlichen Schrifttypen wiedergegeben und das Layout spiegelt den Inhalt: Der Text steht, wie seine Protagonisten kopf, er bildet den Raum nach, oder Akustik und Tempo ab. Die Worte werden nicht nur als semantische, sondern auch als typographische Zeichenträger eingesetzt. Darüber hinaus ist der Leser mit unterschiedlichen Textsorten konfrontiert. So werden neben Erzählung und Augenzeugenberichten auch Lexikonartikel oder Briefe eingespielt. Dabei verschwimmen Fakten und Fiktion, Realitäts- und Traumebene. Orientierungslosigkeit als Strukturprinzip Der Roman ist eine Schauergeschichte, die einen Stephen King würdigen Horrorplot aufgreift: Die Familie Navidson - der Dokumentarfilmer und Pulitzer-Preisträger Will, seine ehemals als Modell arbeitende Ehefrau Karen sowie die beiden Kinder Chad und Daisy - ziehen in ein altes Haus
Dem Leser geht es im Verlauf der Lektüre jedoch ähnlich wie den Figuren, auch er verliert in dem verschachtelten Textlabyrinth die Orientierung. Denn nicht nur stößt er auf ein unüberschaubareres Textkonvolut unterschiedlicher Genres und kann er sich auf keine der Erzählerstimmen verlassen, die Erzählung bewegt sich zudem noch auf unterschiedlichen Ebenen. Es gibt das dokumentarische Material von Will Nevidson, das den legendären Nevidson Record bildet, einen Film, den Hunderttausende gesehen haben wollen, über den sich die Internetgemeinde austauscht (im Buch wie in der außerliterarischen Realität, vgl. House of Leaves), der aber verschollen ist. Der Amateurfilmer Zampano hat das Material rekonstruiert und seine Erkenntnisse in einem unveröffentlichten Manuskript festgehalten, das wiederum nach seinem mysteriösen Tod von dem Hilfsarbeiter Johnny Truant gefunden wird. Auch Truant ist fasziniert von dem Material. Er lässt sich von der Lektüre des Buchfragments so sehr absorbieren, dass er nun seinerseits bald nicht mehr zwischen seiner Lebenswelt und der in den Zampano-Papieren entworfenen unterscheiden kann Die drei Ebenen Die zeitliche Staffelung von Dokumentation, Rekonstruktion und Rezeption der unheimlichen Vorkommnisse greifen die Hörspielmacher (Regie: Claudia Johanna Leist, Jörg Schlüter, Martin Zylka) auf und bieten in ihrer Adaption des Romans diese drei Ebenen als Zugänge zu dem Stoff an. Das Hörspiel in der Bearbeitung von Thomas Böhm (Redaktion: Martina Müller-Wallraff) ist eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks aus dem Jahr 2009 und kürzlich beim Audio Verlag als DVD herausgekommen. Das Hörspiel muss über den Computer oder den Fernsehbildschirm rezipiert werden, was alleine schon deswegen notwenig ist, da der Die drei Wege Aktiv wird er in die Suche nach dem richtigen Weg durch das House of Leaves eingebunden, wenn er aufgefordert ist, sich seinen eigenen Weg zu suchen und beliebig oft zwischen den Ebenen zu wechseln (Own Way). Der weniger autarke Hörer wählt den Zugang 'Follow way' und bewegt sich in festgelegten Varianten Spiegelkabinett mit Puzzlecharakter Seitens der Ästhetik lehnt sich "Das Haus" an Pseudo-Dokumentationen wie der 1998 gedrehte amerikanische Horror-Spielfilm "The Blair Witch Project" an. Das, was es in dem unheimlichen Haus zu erkunden gibt, ist unmöglich beschreibbar und, so der Expeditionsleiter Holloway, noch nicht einmal filmbar; nicht nur weil es in dem Labyrinth stockdunkel ist, sondern vor allem weil die Menschen in ihrer Panik den Kopf und damit den 3D-Hörspiel als Zäsur in der Radiogeschichte Das Haus scheint seine Bewohner, die alle nicht nur mit dem Horror der äußeren Welt, sondern auch mit seelischen Konflikten belastet sind, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne zu "verschlingen". Was liegt also näher, als das Raumlabyrinth im Sinne eines Seelenlabyrinths seiner Figuren zu interpretieren? Kann es sein, dass das unheimliche Haus aus dem 18. Jahrhundert jeden mit seinen ureigensten Ängsten und Problemen konfrontiert? Das legt jedenfalls ein weiterer Erzählstrang nahe, der immer wieder aus den missglückten und problematischen Familienverhältnissen seiner Protagonisten erzählt. Doch auch dieser Zugang ist nur ein Interpretationsangebot unter mehreren. Das Nevidson-Projekt unterläuft vorschnelle Erklärungsansätze und lässt mehr Fragen als Gewissheiten zurück. Buch und Hörspiel sind der kreative Versuch, den Leser aktiv in die Geschichte um die Rekonstruktion der Ereignisse einzubinden. Das Hörspiel baut dabei ganz auf eine Ästhetik der Aussparung und Andeutung: Der Horror entsteht durch die akustische Wiedergabe wie ein Film ohne Bilder in der Imagination des Zuhörers. Galt Das Haus als literarische Sensation des 21. Jahrhunderts, so wurde seine Hörspiel-Adaption als erstes 3D-Hörspiel und damit als Zäsur in der Radiogeschichte gefeiert: Der Westdeutsche Rundfunk sendete die drei Hörspielversionen des Romans bei der Uraufführung simultan auf drei Wellen. Der Radiohörer konnte zwischen den Hörspielen wechseln und somit die Hör-Perspektiven durch neue ergänzen, oder eben auch konterkarieren. Horror-Zapping im Hörspielhaus Das labyrinthische Hörspiel unternimmt, so bleibt zu resümieren, was auch bereits das Buch geleistet hat: Es irritiert den Rezipienten und lässt ihn einerseits in das fiktive Universum seiner Protagonisten abgleiten, andererseits in die Imagination und damit - so steht zu befürchten - in die eigenen seelischen Labyrinthe. Das Experiment der intermedialen Adaption des Romans als Hörspiel jedenfalls ist großartig gelungen. Es zieht den Zuhörer in seinen Bann. Auf der Suche nach Erklärungsansätzen wählt man immer wieder neue Wege durch das Hörspielhaus. Nach Stunden des "Horror-Zappings" ist man geneigt die Warnung von Will Nevidson, die sich wiederholt auf den Tonbandaufnahmen seines Expeditionsteams findet, ernst zu nehmen: "Wenn Sie je an dem House of Leaves vorbeikommen sollten, gehen Sie nicht hinein, bleiben Sie noch nicht einmal stehen." In das akustische Hörspiel-Labyrinth dagegen sollten Sie sich unbedingt hineinbegeben. (Text: Ulrike Weymann; Fotos: WDR)
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