Mit der Verleihung des Österreichischen Staatspreises für Europäische Literatur an den in Paris lebenden Schweizer Schriftsteller Paul Nizon wurde am 15. November 2010 die BUCH WIEN 10 Lesefestwoche im Palais Daun-Kinsky eröffnet.
"Wörter sind Spiegel, und ein verspiegelter Raum ist der Satz", schrieb Klaus Hoffer in seinem Roman "Bei den Bieresch" (1979; Fischer), der im verschnörkelten Festsaal eine literarische Liebeserklärung an den „Citoyen, Europäer, Weltbürger“ Paul Nizon formulierte und also die Laudatio für den Staatspreisträger sprach. Gehalten für einen Autor, der im Jahr 1963 mit dem Prosatext "Canto" sein zweites Buch bei Suhrkamp veröffentlichte - ein Text, der bereits spezielle Eigenheiten aufwies. Formal, sprachlich und inhaltlich ist dieser Text weder Roman noch Erzählung, weder Lyrik noch Prosa. Vielmehr kann man den Buchtitel auch als Gattungsbezeichnung verwenden, als "Gesang". Nizon zeigte in diesem frühen Werk auf, dass die Sprache selbst das Fundament seiner Texte ist und weniger die Gestaltung einer objektiven Wirklichkeit. Subjektive Empfindungen vielmehr, Rhythmus und Dynamik, Variationen und Phrasierungen, Wiederholungen und Modulationen. Aus Sprache Wirklichkeit zu schöpfen. Oder, wie Nizon in "Canto" schrieb: "Keine Meinung, kein Programm, kein Engagement, keine Geschichte, keine Fabel, keinen Faden. Nur diese Schreibpassion in den Fingern... Weder Lebens- noch Schreibthema, bloß matiére [frz. Materie; Anm.], die ich schreibend befestigen muß, damit etwas stehe, auf dem ich stehen kann." Mit sichtlichem Stolz nahm Paul Nizon den Preis entgegen, der mit 25.000 Euro dotiert ist, und verwies in seiner Dankesrede auf die Einflüsse einiger österreichischer Schriftstellerkollegen in seinem Gesamtwerk, hier vor allem Hermann Broch, bzw. auf seine Freundschaften mit österreichischen Autoren hin (Ingeborg Bachmann, Elias Canetti, Thomas Bernhard, Peter Handke...). Nizon: "Diese Auszeichnung ist ein Höhepunkt in meinem Schriftstellerleben, weil es ein österreichischer und ein europäischer Preis ist. Die österreichische Literatur hat eine große Rolle in meinem Werdegang gespielt und hier lebt ein Publikum, das meine Texte schätzt." Sich freischreiben von äußeren und inneren Zwängen "Wörter sind Spiegel, und ein verspiegelter Raum ist der Satz.“ Nizon schreibt immer am gleichen Buch, das da heißt ' Autofiktion', er selbst bezeichnet sich als 'vorbeistationierenden Autobiographiefiktionär'. Alle Freundschaften und Feindschaften werden durch das Schreiben gegenwärtig wie in einem Spiegel, zumindest was seinen Roman "Das Jahr der Liebe" (1981; Suhrkamp) betrifft. Es ist quasi eine Selbstreflexion auf der alles eine Lebenskrise ihren Schatten wirft. Gesucht wird ein Lebensneubeginn, gelitten wird an einer Liebesvergiftung. Sich freizuschreiben von äußeren und inneren Zwängen, untertauchen in einer Großstadt (Paris). "Ich weiß nicht", schrieb Nizon, "warum ich das alles schreibe, ich bin ein Leben weit von damals entfernt, aber es gibt keine Vergangenheit." Apropos weit entfernt: Überreicht wurde der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur von Sektionschefin Andrea Ecker. Keine BM Schmid, kein Bundeskanzler, kein Bundespräsident. Was will uns wohl damit gesagt werden? Dennoch wurde nicht nur ein wichtiger Literaturpreis überreicht, sondern auch die Wiener Lesefestwoche sowie die Buch Wien 10 Internationale Buchmesse eröffnet. (Text: Manfred Horak; Foto: Jerry Bauer / Suhrkamp)
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