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evolver-book-coverGibt es Rock'n'Roll im Taschenbuch? Kann man im Zeitalter des Internet-Wortdurchfalls noch Gedrucktes veröffentlichen? Und ist die Welt noch zu retten? Nadia Baha interviewte die Neo-Verleger Robert Draxler und Peter Hiess von Evolver Books.


Kulturwoche.at: Vielen Dank, dass ihr euch für dieses Interview Zeit genommen habt. Die österreichische Kulturlandschaft ist also seit kurzem um einen coolen Verlag reicher: Evolver Books. Wie der Name schon vermuten lässt, hat das etwas mit Österreichs ältester Netzzeitschrift - EVOLVER - zu tun. Steckt da auch die gleiche Mannschaft dahinter?

Peter Hiess: Teils, teils. Die Geschichte ist kompliziert und langwierig, wie alle Geschichten, die fast 15 Jahre lang dauern. 1996 hatten Klaus Hübner und ich vom Einkaufslistenjournalismus der 'normalen' Medien so genug, dass wir beschlossen haben, ein Internet-Blatt zu gründen, das der intelligenten Beschäftigung mit Popkultur aller Art gewidmet ist. Diese Publikation war und ist der EVOLVER, der im Oktober 1996 seine Online-Premiere hatte und seit damals seine Aufgabe vorbildlich erfüllt. In den Jahren seiner Existenz war ich abwechselnd und oft auch gleichzeitig Chefredakteur und Textchef, Autor und ideologischer Leiter. Seit Jänner 2010 bin ich nur noch Herausgeber, weil ich erstens nach so langer Zeit dringend eine Abwechslung gebraucht habe und mir zweitens einen alten Traum verwirklichen wollte: richtige Bücher veröffentlichen. Aus diesem Grund habe ich mit Robert Draxler - seit vielen Jahren EVOLVER-Sympathisant, Autor und Freund - den Verlag EVOLVER BOOKS gegründet; die Idee dazu hatten wir eh schon vor zehn Jahren. Die echten Gemeinsamkeiten sind also die Marke EVOLVER, ich - und vielleicht die prinzipielle Grundhaltung: goschert und unabhängig sein.

Robert Draxler: So ist es. Ich für meinen Teil habe knapp elf Jahre lang immer wieder Rezensionen, Fortsetzungsromane und gepflegten Trash im EVOLVER veröffentlicht; einmal durfte ich sogar eine eigene Rubrik leiten, die passenderweise 'Trash-Museum' geheißen hat. Derzeit ist mein redaktionelles Ich allerdings zugunsten des verlegerischen in den Hintergrund getreten. Weil es jetzt wieder höchste Zeit für das gedruckte Wort ist.

Die Durchschnittsösterreicherin liest nicht einmal ein Buch im Jahr - und das Leseverhalten ihrer männlichen Ergänzung ist keine Erwähnung wert. Jetzt könnte man auf gut Wienerisch raunzen: Za wos brauch ma des? Also, meine Herren, wozu einen Verlag? Wozu EVOLVER BOOKS?

Draxler: Na ja, die Frage könnte man sich ja zu vielen Themen stellen... - Wozu brauchen wir iPhones und iPads, Kindles und Treos, MySpace und Facebook? Wozu brauchen wir weltweit Abermillionen Internet-User, die sich bemüßigt fühlen, tagtäglich Milliarden Zeichen ins Netz hineinzuschreiben - von denen wahrscheinlich 90 Prozent Schwachsinn sind, so wie das, was im Alltag und auf der Straße geredet wird? Wozu das alles? Wir wissen es nicht. Aber es sagt uns was: Die Leute wollen schreiben, sie wollen gelesen werden und sie wollen lesen. Und wenn sie was zu lesen kriegen, das gut geschrieben, professionell redigiert und schön aufgemacht ist, dann lesen sie’s noch lieber. Und das alles gibt es bei uns, noch dazu provokant, kompromisslos und ganz anders als die zwangsverordnete Staatskunst.

 

evolver-books-logoHiess: Ich hätt's kaum besser sagen können... - Also sage ich jetzt nur mehr: Wozu EVOLVER BOOKS? Weil sich die Notwendigkeit gezeigt hat. Und diesen Satz habe ich auch irgendwo gestohlen.

Das erste Buch in eurem Verlag heißt 'The Nazi Island Mystery' und ist in seiner Urform als Internet-Fortsetzungskrimi im EVOLVER erschienen. Wie kam es dazu?

Hiess: Beim schicksalshaften Zusammentreffen zwischen EVOLVER und r.evolver - das ist übrigens der Autor vom 'Nazi Island Mystery' und außerdem das literarische Pseudonym vom Herrn Draxler - hat er mir von einem Manuskriptentwurf erzählt, der bei ihm herumkugelt. Und ich habe gesagt: Super, das Buch veröffentlichen wir als Fortsetzungsroman im EVOLVER. So war es dann auch, und damit waren wir Internet-mäßig auch die ersten, die sowas gemacht haben, noch vor dem Stephen King - und im Gegensatz zu ihm haben wir es auch bis zum Schluss durchgezogen. 2009 hat er den Roman dann umgeschrieben, der r.evolver, und die verbesserte, nach neuesten Erkenntnissen aktualisierte Fassung erschien wieder in Fortsetzungen im EVOLVER. Und jetzt ist die noch einmal überarbeitete Version, die Perfektion sozusagen, als unser erstes EVOLVER BOOK auf den Markt gekommen. Das heißt: Natürlich sind die vielen Dinge, die seit 1996 im EVOLVER waren, auch ein Reservoir, aus dem sich unser Verlag bedient. Dort gibt es jede Menge gute Ideen, gute Autoren und gute Stories - viele ungehobene Schätze. Har har, wie der Draxler an dieser Stelle immer sagt...

evolver-buchcover01Draxler: Genau. Har har. Worum es im 'Nazi Island Mystery' geht, ist schwer zu sagen, aber schnell erzählt. Der Roman mit dem Untertitel 'Ein Fall für Kay Blanchard' ist eine trashige Spionagestory mit Science-Fiction-Elementen und viel unanständigem Sex.

Hiess: Gibt's einen anständigen auch?

Draxler: Har har. Jedenfalls muss sich die gute Kay nicht nur mit Figurproblemen herumschlagen, sondern auch mit einem besonders verzwickten Fall, der die Existenz des britischen Empire bedrohen könnte. Und dabei bekommt sie es mit den üblichen Problemen der modernen Geheimagentin zu tun - schleimigen Monstern, Mutanten aus dem Weltall, Drogen, Kampflesben, dem bösen Vierten Reich und den verrückten Wissenschaftlern von der Nazi-Insel.

Hiess: Im Herbst 2010 geht es dann ähnlich weiter: mit fleischfressenden Untoten. Allerdings sind die kein Fall für Kay Blanchard, sondern ein 'Best of' des EVOLVER-Kurzgeschichtenwettbewerbs zum Thema Zombies. Unser zweites Buch. Der Hit aus dem Jenseits.

Draxler: Aber Kay kommt auch wieder. Wenn die Leser sie wollen. Ein paar spannende Abenteuer hat sie garantiert noch auf Lager...

Wer hatte eigentlich die Idee zum Namen EVOLVER? Und was bedeutet er?

evolver-peter-hiess03evolver-peter-hiess02Hiess: Den Namen hat sich Klaus Hübner ausgedacht, und dafür danken wir und die Welt ihm bis heute. Er leitet sich natürlich von den Wörtern 'Evolution' und 'Evolve' her, hat aber auch mit der Beatles-Platte mit dem schlichten, wunderbaren Titel 'Revolver' zu tun. Man darf auch nicht vergessen, dass das alles in einer Zeit passiert ist, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte. Damals war noch keine Rede von iMacs, iPhones, iPads und iErkocher. Wenn es nach uns gegangen wäre, hätte die gesamte Cyberwelt statt 'i' den Buchstaben 'e' gewählt. So wie in E-Mail, EVOLVER, eMac - den gab's sogar einmal - und eLektro. Aber leider geht's ja selten nach uns, sonst hätten wir heute ein Enternet und wären alle digitale Piraten...

Draxler: Wissen Sie, was der meint? Ich weiß es nicht. Aber egal: Der Name EVOLVER ist gut, steht für Qualität und hat sich durchgesetzt; viele Leser und Menschen aus der Medienbranche kennen ihn, also haben wir uns gedacht, den borgen wir uns auch für den Verlag aus. Hätten wir einen neuen erfinden müssen, dann wären wahrscheinlich noch zehn Jahre vergangen. Und man ist ja nicht ewig jung und knusprig.

Der EVOLVER sieht sich der Popkultur verpflichtet - und Musik ist ja ein wichtiger Teil des Pop. Habt ihr euch auch einmal überlegt, ein Label zu gründen?

Draxler: Himmel, was sollen wir denn nicht noch alles tun?! Wir haben ja gerade erst einen Buchverlag gegründet, wo wir von der Graphik bis zum Lektorat, von der Autorenbetreuung bis zum Marketing alles selber machen. Für den ganzen Rock'n'Roll-Wahnsinn ist da einstweilen kein Platz... - Sex & Drugs einmal ausgenommen.

Hiess: Außerdem ist die Musikindustrie schon tot. Die Verlagsindustrie können wir vielleicht noch retten. Oder wir bringen sie auch um.

Da möchte ich noch einmal nachhaken: Einige vom EVOLVER-Team haben ja, soviel ich weiß, einen musikalischen Hintergrund. Inwieweit hat das eure Arbeit beeinflusst?

evolver-r-evolver01Hiess: Junge Frau, das sind alles Schreiber, keine Musiker! Schreiber sind traditionell traurige Gestalten. Sie stehen fast nie auf der Bühne, sondern sitzen im finsteren, verrauchten Studierzimmer vor ihrem Computer, oft im Bademantel und mit ungeputzten Zähnen. Sie haben keine Groupies, sondern Putzfrauen und im besten Fall mitleidige Bankbetreuerinnen. Und wenn sie ein Hotelzimmer zerstören, dürfen sie das nicht stolz den Medien erklären, sondern zwideren Polizeibeamten im nächsten Wachzimmer.

Draxler: Wobei ich - ich muss es zugeben - tatsächlich jahrelang mit einer Band unterwegs war und Platten aufgenommen habe. Und meine musikalischen 'Wurzeln' haben sicher auch mein journalistisches und schreiberisches Schaffen beeinflusst.

Hiess: Trotzdem waren wir eine Zeitlang alle Rock'n'Roll-Stars, ob Schreiber oder Musiker. Die Welt hat uns gehört, wir waren unsterblich, kämpften mit Größenwahn und Überdosen, hörten wilde Musik und klopften den Punk dann in die Tastatur. Beim EVOLVER hat das auch über die unmittelbare Jugend hinaus angehalten. Im Mainstream-Journalismus aber, den ich ja auch kenne, ist man nach spätestens fünf, sechs Jahren so frustriert und überarbeitet, dass der wilde Rock-Spirit einem Zustand weicht, wo man immer knapp vor oder nach dem Burnout steht.

Draxler: Burnout, das ist heute modern. Den hat ein jeder. Wir hätten uns das nicht leisten können in der Jugend.

Hiess: Wurscht. Mit dieser Balance auf dem Burnout-Hochseil geht jedenfalls etwas einher, was witzigerweise auch ein bissl mit der Rock'n'Roll-Attitüde zu tun hat, wenn auch eher mit Charles als mit Boris Bukowski. Es ist eine Art erschöpfungsbedingtes Tourette-Syndrom, bei dem man dauernd hundsordinär vor sich hinschimpft, alles und jeden halblaut - und eigentlich ohne Zorn, abgesehen von einer gewissen Grundwut - einen 'Hurnbeidl' oder ein 'Oaschkind' nennt und hofft, dass man dafür nicht versehentlich eine in die Goschen kriegt. Diese häßlichen Wörter werden Sie jetzt sicher durch-xen müssen, aber so ist es. Alters-Rock'n'Roll. Die Idealvorstellung ist die, irgendwann einmal mit dem Gehstock fluchend durch die Stadt zu gehen und gelegentlich blödsinnig schreienden, verzogenen Bälgern von Alternativmüttern eines überzuziehen. Tschuldigung - wo war ma?

evolver-r-evolver02Draxler: Beim musikalischen Hintergrund. Der spielt also bei EVOLVER BOOKS einstweilen eine eher untergeordnete Rolle - abgesehen davon, dass wir uns als Verlegerduo ganz bewusst wie eine Rock'n'Roll-Combo präsentieren. Wir wollen nicht nur Leser, sondern auch Fans, am liebsten begeisterte, die Bootlegs von unseren Interviews und Lesungen tauschen. Normalerweise agieren Verleger ja im Hintergrund und treten kaum öffentlich in Erscheinung. Zum Beispiel kennt jeder die Verlagsgruppe Lübbe und ihre Heftromanhelden wie Jerry Cotton, Jason Dark oder Lassiter. Aber wer weiß schon wirklich, wie der Verlagschef Steffan Lübbe ausschaut? Na eben.

Das klingt auf seltsame Art alles sehr überzeugend. Eine letzte Frage noch: Sucht ihr auch neue Autoren? Wer kann und soll Manuskripte an euch schicken? Und welche?

Draxler: Prinzipiell darf und soll uns jeder Manuskripte schicken. Aber bitte nicht als Massenaussendung im Internet, wo man merkt, der hat das an tausend Verlage geschickt und hofft, dass einer vielleicht ja sagt. Sondern nur ausgedruckt, mit kurzem Exposé und einer Biographie versehen, per Post und frankiert.

Hiess: Am besten, man fragt uns vorher per E-Mail, ob wir prinzipiell an einem bestimmten Stoff interessiert sind. Das Buch muss ja auch irgendwie in unser Verlagsprogramm passen - also eher kein New-Age-Ratgeber oder Erste-Liebe-Lyrikband sein. Obwohl: Wir sind für alles offen, wenn es gut ist. Und dazu gehört, dass die Autorin oder der Autor nicht 'genderneutral' schreibt, weil das Unfug ist, und bitte so freundlich ist, die Grundlagen der Rechtschreibung und Grammatik zu beherrschen. Sonst hat's ja eh keinen Sinn.

Wir danken für das Gespräch.

Draxler & Hiess: Und wir erst!

(Interview und Text: Nadia Baha / Mai 2010; Fotos: Eva Kern, EVOLVER)

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Mehr über EVOLVER BOOKS und den EVOLVER erfährt man - naturgemäß - im Internet: www.evolver-books.at und www.evolver.at