Wer heute durch Wiens Einkaufsstraßen geht, findet wenig Typisches, sondern austauschbare Fassaden und Geschäfte, die in jeder mitteleuropäischen Großstadt zu finden sind. Das war nicht immer so.
Schauplatz Mariahilfer Straße: Das einst noble Kaufhaus Gerngross ist heute ein Shoppingcenter, das nichts mehr von der einstigen Konsumtempelpracht erahnen lässt. Wo einst Herzmansky zum Schauen und Kaufen einlud, vermarktet heute eine deutsche Modekette Textilien, und am Standort des Kaufhauses der Brüder Haber, einst Handelsplatz für feines Wohninterieur, war jahrelang der Schauraum eines oberösterreichischen Matratzen- und Bettenherstellers untergebracht, ehe auch hier eine internationale Modekette seit 2017 Billigst-Mode zu hohen Preisen verramscht. In der Wiener Innenstadt ist es nicht besser: Braun & Co am Graben wurde noch in den 1990er Jahren renoviert, ehe eine schwedische Modekette hier ihren Top-Standort eröffnete und dass das vom Herrenausstatter Goldman & Salatsch errichtete Geschäftshaus noch existiert, ist einer Bank zu verdanken, die das Loos-Haus liebevoll restaurieren ließ. Nur noch ganz wenige kleine, exklusive Textilgeschäfte wie der Herrenausstatter Knize erinnern an die einstige Dominanz jüdischer Kaufhäuser im Wiener Konsumgeschehen. Zwischen der einstigen Pracht, gefördert durch innovativen Unternehmergeist und der heutigen Konsumtristesse unter internationaler Dominanz, liegen Arisierung, Schoa, mühevolle Restitutionsverfahren, die einen Neubeginn meist verhinderten, und die Wiederaufbaumentalität, bei der Massenkonsum vor Qualitätsbewusstsein stand. All diese Umstände sind verantwortlich dafür, dass die Kaufhauskultur, für die Wien neben Paris, London oder Berlin bekannt war, heute verschwunden ist. Wer heute durch Wiens Einkaufsstraßen geht, findet wenig Typisches, sondern austauschbare Fassaden und Geschäfte, die in jeder mitteleuropäischen Großstadt zu finden sind.
Wichtiges Kapitel der Wiener Stadtgeschichte
Die Ausstellung "Kauft bei Juden! Geschichte einer Wiener Geschäftskultur" geht diesem wichtigen Kapitel der Wiener Stadtgeschichte nach und zeigt anhand exemplarischer Beispiele, was den Einkaufsstraßen der Donaumetropole verlorengegangen ist. Man muss sich Zeit nehmen, da es in der von Viola Stifter geschmackvoll gestalteten Ausstellung viel zu lesen und zu entdecken gibt. Gerngross und Herzmansky, Braun & Co sind ja noch in allgemeiner Erinnerung, aber wer erinnert sich noch an das Maison Zwieback, das gleich im ersten Raum der Ausstellung prominent vorgestellt wird. Das Haupthaus Ecke Kärntner Straße/Weihburggasse wurde von Friedrich Ohmann umgestaltet, der auch für die Gestaltung des Zugangs zum Stadtpark im Zuge der Wienflussregulierung verantwortlich zeichnet. Auftraggeberin war Ella Zirner-Zwieback, die einzige erfolgreiche Frau im Kaufhaus Business, die vor allem mondäne Damenmode anbot. Ihre Geschichte vom Erfolg als Unternehmerin, die 1938 von den Nazis enteignet wird, bis zum Kampf um die Rückstellung des arisierten Unternehmens ist exemplarisch und wird gleichsam zum Leitmotiv für die weitere Präsentation der Ausstellung.
Erfolgloses Bemühen um Restitution
Besonders berührend ist das Interview mit dem Komponisten Walter Arlen, der in eindrucksvoller Weise die Arisierung des Kaufhauses Dichter beschreibt, das seiner Familie gehörte. Er beschreibt auch das erfolglose Bemühen um die Restitution des Unternehmens, das das wohl wichtigste und größte Kaufhaus außerhalb des Wiener Gürtels war. Von der einstmals beeindruckenden Architektur - das Gebäude wurde noch 1934/35 von Clemens Holzmeister und Philipp Diamandstein umgestaltet, konnte man auch nach dem Zweiten Weltkrieg einiges entdecken, als das Kaufhaus unter dem Namen "Osei" firmierte. Der Betreiber war ein ehemaliger Ariseur namens Oskar Seidenglanz, der unbehelligt von den Restitutionsforderungen den Betrieb führen konnte. 2004/05 war dann Schluss mit dem Kaufhaus - es ging bankrott und wurde 2007 abgerissen. Walter Arlen hat bis heute keine Entschädigung bekommen.
Von jüdischen k.u.k. Hoflieferanten zu Kaufhausbesitzern
Es gibt in dieser Ausstellung sehr viel zu entdecken, wenngleich die Informationstiefe bei den vorgestellten Unternehmen sehr unterschiedlich ist, und man manches Mal gerne mehr erfahren würde. In einigen Fällen - wie beim Kaufhaus Gerngross muss man sich die Gesamtgeschichte in den einzelnen Abschnitten der Ausstellung zusammensuchen. Auch vermisst man viele der wunderschönen Fotos, Plakate und Werbemittel, die im von Stefan Fuhrer sehr schön gestalteten Katalog zu finden sind, in der Ausstellung adäquat reproduziert. Die im zweiten Raum dargestellte Entwicklung von den jüdischen k.u.k. Hoflieferanten zu den Kaufhausbesitzern wird durch Dokumente belegt, die eine zumindest teilweise Transkription verdient hätten. Im Abschnitt über die Entwicklung des Textilviertels nach 1945 werden die Geschichten von Unternehmen wie dem Tuchhaus Silesia, Wachtel & Co, Haritex, Zalcotex u.v.m. erzählt, die auch vom Wiederaufbau der Wiener jüdischen Gemeinde nach 1945 zeugen. Dass Leopold Böhm, der Gründer der Textilkette Schöps, gewürdigt wird, versteht sich von selbst, allerdings mutet es ein wenig seltsam an, dass er gemeinsam mit Kleinunternehmen in einen Topf geworfen wird. Böhm hat unter dem Markennamen "Schöps" eine Kette an Textilgeschäften lang vor prominenteren Konzernen wie etwa H&M aufgezogen und damit zu einer Zeit Standards für das Massengeschäft definiert, als H&M gerade einmal ein Geschäft auf dem Hötorget in Stockholm betrieben haben. //
Text: Alfred Stalzer
Fotos: S. Gansrigler, Slg Eduard Konrad, Roz McNulty
Kurz-Infos:
"Kauft bei Juden! Geschichte einer Wiener Geschäftskultur"
17. Mai bis 19. November 2017
Jüdisches Museum Wien (ein Museum der Wien Holding)
1010 Wien, Dorotheergasse 1 (Sonntag bis Freitag 10 bis 18 Uhr)
Kuratorin: Astrid Peterle und Janine Zettl (Assistenz)
Gestaltung: Viola Stifter
Zweisprachiger Katalog (Preis: 29,95€), Amalthea Signum Verlag