Wie viel von dem, was einen Menschen ausmacht, steckt in den Genen? Irgendwie sind wir alle miteinander verwandt. Der deutsche Musiker Ludwig und die in Korea geborene Miriam Yung Min Stein unterscheiden sich genetisch nur zu 0,1%. Da gehört das Gen für die Laktoseunverträglichkeit schon dazu. Rimini Protokoll hat wieder einmal die Experten des Alltags gefragt und in Miriam Yung Min Stein eine Frau gefunden, die viel über den Konflikt zwischen Milieu und Veranlagung zu erzählen hat.
Sie wird an diesem Abend 276-mal "ich" sagen und nie ganz genau wissen, wen sie meint. In ihr steckt die ganze koreanische Geschichte, aber auch die von Berta und Harry Hold, die an die GI-Kinder denken und ein weltweites Adoptionsprogramm starten. Sie sind Diener Gottes, beseelt von dem Gedanken Gutes zu tun. Wie sieht das Gute aus? Das deutsche Ehepaar Frieke und Eberhard Stein entscheidet sich gegen einen Jungen, gegen ein geistig behindertes Kind, im Alter von 1 bis 1½ Jahren und wird als geeignet eingestuft. Am Frankfurter Flughafen erfolgt die Warenübergabe, eine peinliche Videodokumentation wie sie heute auf YouTube zu finden ist, bleibt Miriam erspart. Du schaust in den Spiegel und schaust anders aus, als du dich fühlst Die andere Hautfarbe passt nicht zu ihrem Umfeld. Das Fremde ist ihr selbst fremd. Die Mutter erklärt ihr, es gibt Kinder, die kommen aus dem Bauch und Kinder, die kommen aus dem Flugzeug. Sie ist das zwischenstaatliche Belegexemplar für eine Versuchsanordnung. So etwas ist auch nicht billig. 11 DM pro Tag haben ihre Eltern auf das Konto, das jetzt vor uns steht, eingezahlt. Das ist das beste, was dir passieren konnte Auch so ein Spruch, den sie immer wieder zu hören bekommt. Als Musikjournalistin ist Miriam Yung Min Stein viel unterwegs, aber erst 2006 entschließt sie sich Korea zu besuchen. Was sie sich erwartet? Angebracht wäre eine koreanische Empfangsdame, die höflich eine Entschuldigung für alle seit 1977 ihren entstandenen Unannehmlichkeiten überbringt. Statt dessen ein Busfahrer, der etwas zu ihr sagt, das sie nicht versteht. Hier ist sie eine von vielen. Und doch nicht zu Hause. Für Korea braucht es eine andere Expertin - Hye-Jin Choi, die im Büro für Wiedervereinigung arbeitet (die koreanische, die deutsche gilt als Vorbild). Es entspannt sich ein Dialog über die Familienplanung. Weil eher Mädchen zur Adoption freigegeben wurden, leben dort heute mehr Männer im heiratsfähigen Alter, als gebärfähige Frauen. Und das wäre doch wichtig um den Genpool zu erhalten. Welcome to you! Stichwort Genpool. Miriam möchte mehr über ihre leiblichen Eltern erfahren. Akten gibt es keine mehr und eine Familienzusammenführung vor einem Millionenpublikum auf dem koreanischen Sender KBS kommt nicht in Frage. Bleibt noch die Möglichkeit für 1000 $ in ein Röhrchen zu spucken um eine Karte der zukünftigen Mutationen zu erhalten. Und für noch einmal 1000 $ eine zweite Expertenmeinung vom Konkurrenzunternehmen einzuholen. Wenn sich Miriams 20% Chance an Alzheimer zu erkranken erfüllt, wird sie vergessen können, dass sie mit Bono näher verwandt ist, als mit Craig Venter, dem Entschlüssler des menschlichen Genoms. Wie immer bei Helgard Haug und Daniel Wetzel bekommt man in kurzer Zeit auf sehr persönliche Weise einen Ein- und Überblick über einen ganzen Themenkomplex. Verschiedene Sichtweisen werden präsentiert, die Wertung liegt beim Betrachter. Dieses Konzept funktioniert auch mit nur zwei erzählenden Experten auf der Bühne. Den Wienern hat es sichtlich wieder einmal gefallen. Das nächste Österreich-Gastspiel von Rimini Protokoll ist die Produktion "Radio Muezzin" beim Steirischen Herbst vom 25. bis 27. 9. 2009. (Text: Christine Koblitz; Foto: Iskra) Kurz-Infos: |
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