Sebastian Meises preisgekrönter Film Große Freiheit erzählt von Beziehung, Sexualität, Männlichkeit, Liebe und Hoffnung in einer Zeit, die es unmöglich macht all dies frei zu leben.
Aufgrund seiner Homosexualität wird Hans Hoffmann, gespielt von Franz Rogowski, vom KZ direkt weiter in ein deutsches Gefängnis überführt. Nach seiner Freilassung wird er Jahre später wiederholt eingesperrt. Während sich seine Geschichte langsam entspinnt, begleiten wir ihn durch drei unterschiedliche Aufenthalte und mit ihnen durch drei Phasen seinen Lebens. Die anfängliche Begegnung mit dem Zellengenossen Viktor, verkörpert durch Georg Friedrich, bildet während den wiederholten Gefängnisaufenthalten eine Konstante, die sich zu einer Freundschaft und weiter zu einer Partnerschaft vertieft. Die Entscheidung der beiden Männer deren übriggebliebene Freiheit miteinander zu teilen, und deren Mut, diese füreinander einzutauschen, ist die Darstellung von einem selbstbestimmten Leben, die im Kern des Films Große Freiheit zu atmen beginnt.
Intimität und Isolation
Neben der offensichtlichen Thematisierung von Homosexualität und deren Verachtung in der Gesellschaft hinterfragt der Film Große Freiheit jedoch auf einer weiteren Ebene viel mehr den persönlichen Zugang zur eigenen Intimität und Vorstellung von gelebter Beziehung. Die sich gegensätzlichen Extreme der erzwungenen Nähe durch Gemeinschaft und der gleichzeitig herrschenden Isolation des Selbst in der Strafanstalt, bringen diese in den Einstellungen in verschiedensten Facetten ununterbrochen zum Vorschein. Einsamkeit und Gemeinschaft stehen in einer scheinbar konstanten Wechselwirkung zueinander, die uns visuell am Deutlichsten durch das Stilmittel des Blackscreens von einem Isolationserlebnis zum Nächsten mit Backflashes zurück in die Erinnerung von Nähe und Zweisamkeit mitnehmen, und so die Verbindung der Extremen vereinen. Freiheit dabei als omnipräsente Frage. Gefängnis als Raum der Möglichkeiten. Intimität leben an Ort und Zeit der Unsicherheit. Hans befindet sich inmitten all dieser geladenen Gegensätze und droht sich während seinen Gefängnisaufenthalten trotzdem nicht zu verlieren, sondern schafft es viel eher anderen Insassen den Mut zu geben sich selbst zu finden. Als Protagonist bietet er den ZuseherInnen dabei eine Projektionsfläche, die in einer undenkbar tristen und tragischen Realität niemals die Nähe und Neugierde zu sich selbst und seinen Mitmenschen verliert. Seine träumerischen Erinnerungen und sein Wille eine freie Zukunft zu denken, zieht andere in den Bann seiner Hoffnung, wobei ihm durch seine gelebte Intimität gleichzeitig die Position des Außenseiter zugeteilt wird. Nähe und Isolation. Gemeinschaft und Kontrolle. Das Ausleben der eigenen Sexualität als erlebtes Miteinander und durch-Einander, wobei der Film Große Freiheit eine Menschlichkeit kommuniziert, die in diesem Kontext selten beleuchtet wird. Franz Rogowski steht als Hans im Zentrum der angespannten Gegensätze und schafft es ein Dazwischen zu bilden. Einen Zugang in die komplexen Erfahrungen des Selbst, sowie dessen Einbettung in einen sich stetig wandelnden Gesellschaftskomplex zu ermöglichen.
Große Freiheit in einer geschlossenen Anstalt
Freiheit als roter Faden, der sich durch jede Pore des Films zieht. Das Thema frei-sein scheint sich an verschiedenen Stellen der Geschichte im Außen sowie im Inneren der Charaktere und deren Umgebung wiederholt zu verdichten. Ausgegangen von einer sozialen Realität in der die fehlende persönliche Freiheit Homosexualität leben zu dürfen, nicht nur eine fehlende Freiheit von Sexualität meint, sondern damit einhergehend den Verlust der absoluten Freiheit des Selbst bedeutet, werden alle Aspekte des versperrten Lebens und dessen Alltag in Unfreiheit adressiert. Die verschiedenen Charaktere verkörpern dabei die unterschiedlichen Stadien von Freiheit, soweit diese in einer geschlossenen Anstalt gelebt werden kann. Hans als Rebell und Romantiker, der alleine durch seine Präsenz im Gefängnis eine Art Freiheit verkörpert, da er durch seine gelebte Freiheit eingesperrt wurde, nicht durch die Beschränkung von persönlicher Freiheit einer anderen Person. In Momenten, in denen er sich in seiner Gefangenschaft verliert, wird ihm durch seine Beziehungen in, sowie auch außerhalb der Anstalt, eine Form von Freiheit ermöglicht. Diese wird unter anderem sehr deutlich durch das Licht der Zündhölzer diegetisch visualisiert, das ihn immer wieder zu finden scheint oder die romantischen Beziehungen, die er über die Jahre im Gefängnis eingeht. Eine dieser Beziehungen handelt von Oskar, gespielt von Thomas Prenn, die erste Liebe, die Hans auch in seinem zweiten Gefängnisaufenthalt begleitet. Durch Flashbacks zu vergangenen Sommertagen im Super 8 Format wird mittels deren Beziehung einerseits totale, große Freiheit, und andererseits durch den späteren Selbstmord Oskars, ebenfalls dessen absolute Abwesenheit und den inneren Verlust an jeglicher Art von Freiheit dargestellt. Gefangenschaft im Innen und Außen. Eine weitere Figur, die Freiheit sehr stark charakterisiert, ist Viktor, der wiederholte Zellengenosse von Hans, der seine Antidote symbolisiert. Er ist langjähriger Gefängnisinsasse und scheint Freiheit nicht mehr wieder zu erkennen. Die Idee der Außenwelt als einen Ort in der er keinen Platz mehr findet und Rausch als Möglichkeit dieser zu entfliehen. Durch ein Sehen und Gesehen werden, durch ein Miteinander, ermöglichen sich die beiden Männer langsam gegenseitige, sowie gemeinsame Freiheit zu schaffen. Der Mut und die Entscheidung füreinander ist die große Freiheit eines, wenn auch sehr beschränkten, selbstbestimmten Leben.
Sexualität und Männlichkeit
Ich weiß nicht, ob ich in der Lage bin über Männlichkeit zu schreiben, und im weiteren Sinn über männliche Sexualität, jedoch denke ich, dass der Versuch ein schöner sein kann. Somit würde ich einfach noch gerne anmerken, dass die Körperlichkeit, mit der die beiden Hauptdarsteller arbeiten und die Art der Kamera diese einzufangen und zu montieren, eine wunderschöne Spannung zwischen Nähe und Ferne, Intimität und Fremdheit darlegt. Die Frage nach Beziehung, Sexualität und Männlichkeit ist den Bildern inhärent. Beziehung gesehen in einem weiten Möglichkeitsraum, nicht an kulturelle und traditionelle Werten gebunden, jedoch als die Wahrnehmung eines Gegenübers und das gemeinsame Eintreten in einen Austausch. Der Wunsch nach Nähe in einer Welt der Ausgestoßenen, isolierten, der nicht weicht, sondern erfahren und erforscht werden will. Sexualität ohne Intimität und Intimität ohne Sexualität, und der Schnittpunkt, der dazwischen einen Raum eröffnet, darf durch Große Freiheit erkundet werden. Franz Rogowski als unglaublicher Träger dieser Geschichte, die ihre Tiefen nicht in den Weiten der Plansequenz, sondern in der Simplizität und Kargheit der Zellwände wiederfindet. //
Text: Lina Reisinger
Fotos: Freibeuter Film
Verleih: Online Streaming Platform Mubi, “The man of the hour” - zu Franz Rogowski
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