Zum 18. Mal jährt sich 2021 das Crossing Europe Filmfestival in Linz. Von 1. bis 6. Juni findet es zum letzten Mal unter der Intendanz von Christine Dollhofer statt.
Gemeinsam mit Wolfgang Steiniger gründete Christine Dollhofer 2003 das Crossing Europe Filmfestival. Ab November 2021 wechselt sie nach Wien an die Spitze der zweitgrößten österreichischen Filmförderstelle, dem Filmfonds Wien.
Cinephile Positionen für ein weltoffenes Europabild
Der virtuelle Europa-Trip umfasst rund 120 Spiel- und Dokumentarfilme und führt einmal quer durch den Kontinent in 40 Länder. So bleibt das Festival auch 2021 seinem Credo treu und steht für ein handverlesenes Filmprogramm, das der Vielgestaltigkeit Europas gerecht werden und dem interessierten Publikum eine differenzierte Sichtweise auf die europäische Verfasstheit eröffnen möchte - mit cinephilen Positionen, die ein optimistisches, weltoffenes und vorwärtsgewandtes Europabild liefern und Lust auf einen endlich wieder möglichen Kinobesuch machen wollen. Eröffnet wird das Filmfestival am 1. Juni 2021 mit mehreren Filmen, die stellvertretend für die Vielgestaltigkeit des aktuellen europäischen Filmschaffens stehen. Angeführt wird der Eröffnungsfilmreigen von Maria Schraders Berlinale-Wettbewerbsbeitrag "Ich bin dein Mensch / I’m your man". Die in Hannover geborene und mittlerweile preisgekrönte Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Maria Schrader erhielt als erste deutsche Regisseurin überhaupt einen Emmy in der Kategorie Beste Regie einer Miniserie, und zwar für die Netflix-Miniserie "Unorthodox". Beim Crossing Europe Filmfestival sieht man ihre Regiearbeit nach der Kurzgeschichte "Ich bin dein Mensch" von Emma Braslavsky und ihrem filmischen Versuch an einer zeitgemäßen Variante des Robolove-Motivs. Um an Fördermittel für ihre Studien zu kommen, erklärt sich Wissenschaftlerin Alma (Maren Eggert wurde für ihre Darstellung mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet) zur Teilnahme an einem außergewöhnlichen Experiment bereit. Drei Wochen lang lebt sie mit einem humanoiden Roboter, Tom, zusammen, der sich dank künstlicher Intelligenz in den für sie perfekten Lebenspartner verwandeln soll. Dessen unnatürliche Fröhlichkeit und Zuvorkommenheit, detaillierten Tipps und merkwürdigen Phrasen irritieren sie zunächst und stoßen sie gleichzeitig von ihm ab. Auch Toms ungefragtes Aufräumen ihrer Wohnung und seine Versuche, romantische Momente zu kreieren, helfen nicht weiter. Nach kurzer Zeit macht sie ihm klar, dass sie an einer Beziehung nicht interessiert ist und nur ihre Aufgabe als Produkttesterin wahrnimmt. Toms KI beginnt sich jedoch mit der Zeit besser an Alma anzupassen, und diese ungewöhnliche Paarbeziehung mit der letztendlich zentralen Frage "Wenn das Glück erreicht wird, spielt es eine Rolle wenn seine Quelle künstlich ist?", nimmt seinen verschmitzt humoristischen Lauf.
Filmische Vielfalt
Ebenfalls bei der Berlinale 2020 zu sehen war der dort vielbeachtete Spielfilm "Servants" von Ivan Ostrochovský. Mit diesem Film ist der slowakische Regisseur nun scheinbar endgültig im fiktionalen Genre angekommen. In streng kadrierten Schwarz-Weiß-Bildern erzählt er von zwei jungen Priesterseminaristen, die Anfang der 1980er Jahre in der Tschechoslowakei zwischen die politischen Fronten geraten. Bald werden alle Schreibmaschinen beschlagnahmt, damit keine unerwünschten Pamphlets in Umlauf gebracht werden können. Mitarbeiter der Staatssicherheit befragen einige der Schüler und nehmen letztlich einen mit. Eine wichtige Entscheidung steht an: Passt man sich dem totalitären System an oder schließt man sich dem Widerstand gegen den Kommunismus an? Ein weiterer Eröffnungsfilm ist der Dokumentarfilm "Wire" von Tiha K. Gudac. Gezeigt wird darin in exemplarischer Form, wie aktiv Europa seine Grenzen dicht macht. Zu sehen ist bei der Eröffnung von Crossing Europe Filmfestival auch die Weltpremiere "Surviving Gusen" von den österreichischen Regisseuren Gerald Harringer und Johannes Pröll. 76 Jahre nach dem Ende des NS-Terrorregimes würdigt der essayistische Dokumentarfilm drei Überlebende des Lagerkomplexes Gusen in OÖ, östlich von Linz, auf dessen Areal heute eine Einfamilienhaussiedlung steht. Als Nachtsicht-Opener wiederum ist mit "Mandibules / Mandibles" die neueste Fantasy-Komödie von Regisseur Quentin Dupieux programmiert, in der zwei befreundete Einfaltspinsel in den Besitz einer Riesenfliege in der Größe eines Terriers kommen, die ihnen das große Geld bringen soll. Warum die Fliege nicht einfach dressieren, um so ein paar Banken auszurauben?
And the rest is history
Gewissermaßen ein Crossing Europe Filmfestival-Schwerpunkt sind drei Filme, die in besonderer Manier das Thema Politik und Journalismus in Zeiten von Populismus, Fake News und Social Media behandeln. Mit großer Spannung wird dabei vor allem der Dokumentarfilm "Hinter den Schlagzeilen" von Regisseur Daniel Sager erwartet. Zwei Reporter der Süddeutschen Zeitung treffen Edward Snowden, recherchieren im Waffengeschäft, folgen heißen und kalten Spuren. Dann erhärtet sich eine Story, die drauf und dran ist die österreichische Politik umzustürzen: die Ibiza-Affäre um den FPÖ-Politiker und damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache - and the rest is history. Im Spielfilm "La mort de Guillem" vom spanischen Regisseur Carlos Marques-Marcet, wird hingegen der reale Fall Guillem Agulló im Stil eines in seiner Nüchternheit eindringlichen Politthrillers aufgerollt. In "Nemesis" schließlich nutzt Thomas Imbach einen essayistischen Ansatz, um eine tiefgreifende Kritik an der Ausländerfeindlichkeit und Migrationspolitik in der Schweiz anzubringen.
10 Österreichpremieren
Zuguterletzt nicht unerwähnt werden darf, dass aufgrund des anhaltenden Ausnahmezustands im Kulturbereich, heuer das Crossing Europe Filmfestival, die Diagonale (8. bis 13.6.) und das Kurzfilmfestival Vienna Shorts (27.5. bis 1.6.) intensiv zusammenarbeiten. Alle drei Festivals finden 2021 unmittelbar hintereinander statt, weshalb der Premierenstatus bei sich überschneidender Programmauswahl parallel geführt wird. Die Diagonale und das Crossing Europe Filmfestival präsentieren aufgrund der zeitlichen Nähe der Festivals zueinander 10 Filme gemeinsam als Österreichpremieren. Darunter zwei Langfilme als Weltpremieren: "2551.01" von Norbert Pfaffenbichler und "Motorcity" von Arthur Summereder. //
Text: Manfred Horak
Fotos: a_kep | www.subtext.at; Filmladen Filmverleih; Crossing Europe Filmfestival