Unter dem Schweizer Regisseur Laurent Nègre entstand mit Confusion ein Politsatirethriller im Stil einer Mockumentary, eines fiktionalen Dokumentarfilms. Von Andrea Schramek.
Zwei junge Filmstudenten, Dario und Yacine, haben die Erlaubnis, Caroline Gautier, Stabschefin im Sicherheitsdepartements des Kantons Genf, einen Tag lang mit der Kamera zu begleiten. Es ist ein besonderer Tag, denn Caroline soll einen ehemaligen tatarischen Guantanamo Häftling am Flughafen in Empfang nehmen. Peinlicher Weise, läuft nichts nach Plan: Protestierende Demonstranten, ein ungeduldiger Amerikanischer und ein nervöser Chinesischer Abgesandter, und dann auch noch ein politischer Widersacher, der Caroline ausgerechnet heute mit Sex-Fotos ihrer Tochter erpressen will.
Das ist nicht echt
Laurent Nègre erzählt seine Krimi-Politsatire im Stil einer Mockumentary. Der Zuschauer wähnt sich zunächst in einer Doku mit langen Einstellungen und wenigen Schnitten. Erst zunehmend werden Elemente eingeführt, die dem Betrachter signalisieren: Das ist nicht echt. So wechseln spontan wirkende Wackelaufnahmen der Kamera, der "Filmstudenten", samt den dazu gehörigen Pannen (z.B. das Mikro, das bei der Autofahrt ins Bild gehalten wird) mit einer zweiten Kamera und damit einer zweiten, von außen kommenden Erzählperspektive, die mehr "weiß" als die Protagonisten. Das Ganze soll möglichst authentisch wirken. So gibt es sogar eine, den Film begleitende, Website, Confusion Today, der "Filmstudenten", und damit noch eine weitere "außerfilmische Ebene".
Spontaneität trotz intensiver Vorbereitung
Bei aller Ernsthaftigkeit des Themas, finden sich durchwegs Momente des Comicreliefs, vor allem durch die Ebene der beiden Filmstudenten, die, vom Fieber des detektivischen Dokumentaristen, gepackt, sogar bereit sind, einem Kind eine Kamera zu stehlen, um ihre heiße Spur im Spiel um die Erpressung Carolines weiter dokumentieren zu können. Laurent Nègre musste nach seiner ausgezeichneten Action-Komödie "Opération Casablance" über islamistische Terroristen, sein Filmteam erst überzeugen, "Confusion" in diesem dokumentarischen Stil zu drehen. Eine Notwendigkeit, die sich für ihn, dem politisch engagierten Regisseur und Autor, aus dem Thema ergab. Nach ausgiebigen und intensiven Proben mit den Darstellern, die aus hochkarätigen Profis wie Caroline Gasser, Daniel Ludwig, oder Simon Romang, so wie aus Laiendarstellern bestand, wurde "Confusion" in nur 19 Tagen gedreht. Um alles spontan wirken lassen zu können, müsste man noch viel länger vorbereiten, als sonst, erzählte Laurent Nègre beim Diskussions-Frühstück, das als Rahmenprogramm der Solothurner Filmtage angeboten wurde. Während der Kameramann, Christian Lutz, wenig wusste, um möglichst spontan bleiben zu können, war die Arbeit mit den Darstellern sehr intensiv.
Nichts sollte gespielt wirken
Für Caroline Gasser (alle haben ihren privaten Vornamen als Rollennamen beibehalten), lag die Herausforderung vor allem darin, als Politikerin zu überzeugen und doch witzig zu sein. Sie hatte auch mit den Laiendarstellern gearbeitet, um ihnen dabei zu helfen, möglichst authentisch zu wirken. Nichts sollte "gespielt" oder nach Theater wirken, deshalb blieb man auch während der Drehpausen in der Rolle. Improvisationen und Pannen wurden in das Skript aufgenommen und eingebaut, z.B. als Caroline im Auto das Handy aus der Hand fällt. - Wenn man es weiß, sieht man für eine Sekunde das Flunkern in ihren Augen, doch das Lachen wurde verbissen und die Szene weiter gespielt. Simon Romang als subtil komischer Assistent Carolines, Daniel Ludwig, als Ehemann der Politikerin, gibt einen wunderbaren, bemüht verständnisvollen, aber doch frustrierten, Mann im "Hintergrund" seiner erfolgreichen Frau.
Ein Thema, von dem viele nichts wissen
Die Zusammenarbeit der beiden Produzenten Dan Wechsler (Bord Cadre-Films, Genf) und Peter Guyer aus Bern, brachte neben der glücklichen Fügung, auf dem kleinen, Berner Flughafen gleich mehrere Drehorte zu finden, auch eine fruchtbare und "unerwartete", innerschweizerische französisch-deutsche Zusammenarbeit: "Ich wusste gar nicht, dass Deutsch-Schweizer so lustig sein können", so Laurent Nègre. "Confusion" ist der engagierte Versuch ein Thema, von dem, so meinte Laurent Nègre, "viele nichts wissen", bekannt zu machen und zu Diskussion anzuregen. Hintergrund des Filmprojekts war der Beschluss der Schweiz, im Jahr 2010 zwei Guantanamo-Flüchtlinge aufzunehmen. Justizministerin Evelyn Widmer-Schlumpf sagte damals, dass die Schweiz zwei weitere Personen, beide Uiguren, ebenfalls aufnehmen könnte, falls sich ein Kanton für deren Aufnahme entscheide. Bereitschaft dazu signalisierte kurz darauf der Kanton Jura. Eine Schweizer Delegation hatte im Sommer 2009 Guantanamo besucht und die Dossier der drei unschuldigen Häftlinge geprüft. Sie entschied damals, dass sowohl der Usbeke wie die beiden Uiguren alle Kriterien für eine humanitäre Aufnahme erfüllten.
Es war nichts
Im Falle der humanitären Aufnahme der beiden Uiguren intervenierte in Bern die chinesische Botschaft. Die Uiguren sind chinesische Staatsbürger und China betrachtet sie als Terroristen. Kurz darauf befand am 12. Januar 2010 die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates (SIK-NR), das Sicherheitsrisiko zur Aufnahme der beiden chinesischen Staatsbürger sei zu groß. Mit 15 zu 10 Stimmen empfahl die Kommission dem Bundesrat generell, keine Gefangenen aus Guantanamo aufzunehmen. Mitglieder der SIK führten dafür neben Sicherheitsbedenken (unter Hinweis auf den Attentatsversuch eines Nigerianers) auch wirtschaftliche Gründe auf. Sie fürchten, dass die Beziehungen der Schweiz zu China auf diplomatischer und wirtschaftlicher Ebene durch die Aufnahme getrübt werden könnte. Die Politiker fürchten insbesondere, dass das Freihandelsabkommen mit China, welches derzeit vom Volkswirtschaftsdepartement erarbeitet wird, in Gefahr ist. Offenbar fanden einige Kommissionsmitglieder zudem, die USA müsse dieses Problem selber lösen. Es sei eine Eigenheit der Schweizer Politiker, bei politisch brisanten Themen, in der Öffentlichkeit zu betonen: "Es war nichts".
"Es war nichts!" - Zumindest nicht wirklich. Im Publikum wusste auch nach dem Film kaum jemand etwas von Guantanamo-Flüchtlingen in der Schweiz, aber einige beteuerten nach der Vorführung, einmal im Internet danach suchen zu wollen. Ein durchaus gelungener Film mit Message, dessen Humor und feine Klinge sich aber vielleicht nicht jedem Zuschauer erschließt. (Text: Andrea Schramek)
Kurz-Infos:
Confusion
Bewertung: @@@1/2
Kinostart: November 2015 in der Schweiz
Drehbuch & Regie: Laurent Nègre
Kamera: Christian Lutz
Ton: Jürg Lempen
Besetzung: Caroline Gasser, Simon Romang, Yacine Nemra, Dario Galizia, Christian Waldmann, Jack Pogany, Joseph Chanet, Ruedi Imbach, Daniel Ludwig, Aude Bourrier, Thomas Mathys, Christoph Lanz
Produktion: Dan Wechsler (Bord Cardre Film), Peter Guyer & Madeleine Corbat (Recycledtv)