Beim Filmfestival identities 2013 wurde das Thema schwule Palästinenser und Israeli in einer Dokumentation und einem Spielfilm behandelt. Zwei Filme, die unbedingt gesehen werden sollten.
Gerade in Tel Aviv ist das Leben für LGBT [eine aus dem englischen Sprachraum kommende Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual und Trans; Anm.] relativ angenehm. Im Kontrast dazu steht jedoch die Situation schwuler Palästinenser, die nach Tel Aviv kommen, um so leben zu können wie sie sind. Homosexualität ist kein Asylgrund und Palästinenser sind in Israel nicht gerne gesehen, selbst wenn ihnen zu Hause ein Leben im Versteck oder schlimmeres droht.
Gvarim Bilti Nir'im
Der Dokumentarfilm "Gvarim Bilti Nir'im" (engl. "The Invisible Men") begleitet drei mutige Menschen, die sich bereit erklärt haben ihr Leben filmen zu lassen. Im Mittelpunkt steht der 32-jährige Louie, der seit zehn Jahren in Tel Aviv lebt. Er hat keine Papiere und immer wieder wird er aufgegriffen und nach Nablus abgeschoben. Immer wieder kommt er zurück. Eine bedrückende und bedrohliche Situation. Als sein Vater herausfand, dass Louie schwul ist, drohte er ihm die Kehle durchzuschneiden. Eine große Narbe zieht sich quer über seine rechte Wange. Zugefügt vom eigenen Vater, den er trotz allem vermisst. Dann sind da noch Abdu (24) und Faris. Abdu wurde gefoltert. In Israel darf er nicht bleiben und so hat er Asyl in einem europäischen Land beantragt. Er steht kurz vor der Ausreise. Auch Faris (23) wurde von der eigenen Familie mit dem Tod bedroht. Er hofft auf Hilfe, um zumindest nach Israel zu kommen. Im Gegensatz zu Palästina ist es in einigen Teilen Israels kein Problem schwul zu sein und es offen zu leben. Ein Palästinenser ohne Papiere zu sein jedoch ist ein großes Problem. Und so bleibt nichts anderes als die Flucht. Auch Louie muss schließlich Israel verlassen. Die ständigen Abschiebungen werden zu riskant, ständig ist sein Leben bedroht. Doch weg will er eigentlich nicht, sträubt sich lange dagegen. Trotz allem fühlen diese Menschen sich in Israel und Palästina zuhause. Nur weil sie dort nicht akzeptiert werden wie sie sind, müssen sie weichen und in Länder gehen, die ihnen völlig fremd sind. Am Ende trifft die Dokumentation Abdu und Louie in einem Land wieder, in dem es sehr viel schneit. Louie spricht davon, wie sehr er seine Heimat vermisst. Und doch steht er aufrechter und selbstbewusster in seiner neuen Küche. Yariv Mozers' Film ist teilweise anzumerken, dass es nicht so leicht gewesen ist, diesen Film als Dokumentarfilm zu drehen. Dass er gedreht wurde ist sehr wichtig, denn dass ein Land Menschen trotz Bedrohung ihres Lebens immer wieder abschiebt ist eine Menschenrechtsverletzung auf die hingewiesen werden muss.
Alata. Out in the Dark
Der Spielfilm "Alata. Out in the Dark" befasst sich ebenfalls mit der Problematik in Palästina als Schwuler gefährdet und in Israel als Palästinenser unerwünscht zu sein. Dieser Film geht unter die Haut, packt sein Publikum und lässt es nicht wieder los. Nimr (Nicholas Jacob) lebt in Ramallah. Zu seiner Mutter und seiner Schwester hat er ein liebevolles Verhältnis. Der Bruder allerdings hortet Waffen im Keller des Hauses und glaubt sich dazu berufen, Menschen zu bestrafen, die nicht in seine Vorstellung von palästinensischem Patriotismus passen. Niemand in Nimrs Familie weiß, dass er heimlich immer wieder über die Grenze nach Tel Aviv geht, um dort ohne Angst mit Freunden in Schwulenbars zu gehen. Er lernt den israelischen Anwalt Roy (Michael Aloni) kennen und als er auch noch für sein Studium einen vorläufigen Passagierschein nach Tel Aviv erhält, erlebt er einen kurzen Moment des Hochgefühls und der Freiheit. Auch wenn der Passagierschein nur fürs Studium ausreicht, so scheint dieses Problem zunächst noch weit entfernt. In Tel Aviv leben er und Roy ihre Liebe ganz selbstverständlich. Doch dann holt die Realität Nimr auf grausame Weise ein. Der israelische Geheimdienst schiebt einen Freund Nimrs, der ohne Papiere in Israel gelebt hat und schon lange vom Geheimdienst erpresst und ausgenutzt wurde, ab. Zuvor haben sie seine Familie über seine Homosexualität informiert. Schwul sein und ein Aufenthalt in Tel Aviv werden von der Gruppe rund um Nimrs Bruder mit der Kooperation mit dem Feind gleichgesetzt. Hilflos erlebt Nimr mit, wie Mustafa zusammengeschlagen und ermordet wird. Einer der Täter ist Nimrs Bruder. Ihm wird klar, wie gefährdet er selber ist. Doch eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen ist nicht möglich. Als der Geheimdienst Nimr zur Spionage zwingen will, verweigert er dies und sein Passagierschein wird ihm entzogen. Ihre gefährdete Situation in Palästina macht Homosexuelle erpressbar. Nimr wird nach Ramallah abgeschoben, mit Roy kann er nur noch telefonieren. Als seine Familie herausfindet, dass er schwul ist, verstößt ihn seine Mutter. Einen schrecklichen Moment scheint der Bruder nicht davor zurückzuschrecken Nimr zu ermorden. Ohne Papiere flieht er nach Israel zu Roy. Doch als Illegaler hat er keine Chance, und abgeschoben zu werden würde seinen sicheren Tod bedeuten. "Liebe findet immer einen Weg", glaubt Roy und beginnt für Nimr zu kämpfen. Nimr bleibt nichts anderes als die Flucht nach Frankreich. In die Enge getrieben geht Roy für seinen Partner an seine Grenzen und darüber hinaus. Die Liebe von Nimr und Roy, die durch den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern niemals absolut unbeschwert sein kann, ist eine der ganz großen Liebesgeschichten von identities 2013. Jacob und Aloni spielen diese mit großer Intensität. Michael Mayer hat eine Beziehung inszeniert, die durch große innere und äußere Konflikte geht und nicht einmal an den widrigsten Umständen wirklich zerbrechen kann, jedoch auch große Opfer und Veränderungen von den Protagonisten fordert.
Schade ist, dass in beiden gezeigten Filmen nur die Situation von schwulen Männern verhandelt wurde. Die Situation von Transgenderpersonen und lesbischen Frauen in Palästina und Israel wäre nämlich ebenso wichtig zu beleuchten. Es wäre schön, wenn Filme etwas verändern. In Israel ist es möglich, relativ offen in Filmen Systeme zu kritisieren, allerdings müsste es möglich sein diese Kritik dann auch anzunehmen und etwas zu ändern. (Katharina Fischer)
Gvarim Bilti Nir'im
Israel/ Niederlande 2012, 69 Minuten
Bewertung: @@@@@@
Filmfestival identities 2013
Regie: Yariv Mozer
Buch: Adam Rosner, Yariv Mozer
Kamera: Shahar Reznik
Schnitt: Yasmine Novak
Musik: Wouter van Bemmel
Produktion: Yariv Mozer, Sander Verdonk, Gertjan Langeland, Adam Rosner, Hila Aviram
Alata
Israel/ USA 2012, 92 Minuten
Bewertung: @@@@@@
Filmfestival identities 2013
Regie: Michael Mayer
Buch: Yael Shafrir, Michael Mayer
Kamera: Ran Aviad
Schnitt: Maria Gonzales
Musik: Mark Holden, Michael Lopez
Produktion: Lihu Roter, Michael Mayer
Darsteller_innen: Nicholas Jacob, Michael Aloni, Jameel Khouri, Alon Pdut, Loai Noufi, Khawlah Haj-Debsy