plastic-planet01Polyethylen, Polypropylen, Polyvinylchlorid, Phthalate, Nonyphenol, Polystyrol, Polyurethan, Polyethylenterephthalat, Acetaldehyd, Polycarbonat, Bisphenol – und, ach, das sind ja bloß die gebräuchlichsten Kunststoffe, mit denen wir es tagtäglich zu tun haben. Was wo dahinter steckt und welche Risiken und Nebenwirkungen auftreten können, davon handelt der investigative Kinodokumentarfilm "Plastic Planet" von Werner Boote.

Nehmen wir z.B. Acetaldehyd her, das sich auch in Mineralwasser wieder findet - sei es im italienischen San Pellegrino, immerhin dem teuersten Mineralwasser dieser Produktgruppe, aber auch im heimischen Mineralwasser Gasteiner und Güssinger. Aber keine Sorge: Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hält die darin enthaltene Dosis von Acetaldehyd in Polyethylenterephthalat-Flaschen, kurz, PET-Flaschen, für unbedenklich. Einerseits. Andererseits wurde Acetaldehyd von der EU auf die Liste der Substanzen mit Verdacht auf krebserregende Wirkung gesetzt.

Ressourceneffizienz und Klimaschutz

plastic-planet02plastic-planet03Menschlich betrachtet mutmaßlich also eine Katastrophe (und das ist nur ein kleines Beispiel von einer Unzahl), aber keine Sorge, denn die europäische Kunststoff-Industrie "leistet" - so die Philosophie von PlasticsEurope - "einen wesentlichen Beitrag zum Wohlstand in Europa, indem sie Innovationen Realität werden lässt, die Lebensqualität verbessert und Ressourceneffizienz und Klimaschutz ermöglicht." Die Wirtschaftsdaten sprechen nämlich für sich: Mehr als 1,6 Millionen Menschen arbeiten in mehr als 50.000 Unternehmen der Kunststoff-Industrie (bei der Verarbeitung meist kleine bis mittelständische Betriebe) und erwirtschaften einen Umsatz von über 300 Milliarden Euro im Jahr. Der erwähnte Wirtschaftsverband PlasticsEurope wiederum ist einer der führenden europäischen Wirtschaftsverbände. Der Verband unterhält Zentren in Brüssel, Frankfurt, London, Madrid, Mailand und Paris und kooperiert eng mit anderen europäischen und nationalen Kunststoffverbänden. Mehr als 100 Mitgliedsunternehmen produzieren mehr als 90 Prozent der Kunststoffe in den 27 EU-Mitgliedsstaaten und Kroatien, Norwegen, der Schweiz und der Türkei. Heruntergerechnet bedeutet dies nichts weniger als, dass jeder Industriezweig heute auf Kunststoff angewiesen ist. So weit, so Plastik.

Ich mache einen Film darüber

plastic-planet04plastic-planet06Dementsprechend groß die Lobby, und so entstand letzten Endes auch die Idee zum Film. Regisseur Werner Boote: "1999 habe ich in einer holländischen Tageszeitung gelesen, dass Fische in England in einem Fluss aussterben, weil es einen Stoff gibt, der in Kunststoff enthalten ist. Kurz darauf habe ich, im Time Magazine, gelesen, dass das Grönlandmeer mit Kunststoffen belastet ist. Ich habe immer mehr Berichte in Zeitungen gefunden, die von einer Art Gefahr durch Kunststoffe erzählen. Ich habe dann in einer österreichischen Tageszeitung vor mehreren Jahren einen kleinen Bericht gelesen, dass der Pazifik durch Kunststoffe belastet ist und ich habe mich gewundert, warum das niemand weiß! Nach diesem kleinen Zeitungsartikel stand einige Tage später in der gleichen Tageszeitung ein acht Seiten Bericht, bezahlt von der Kunststoffindustrie, der genauso ausgesehen hat wie die ganze Zeitung. Meine logische Schlussfolgerung: Diesen kleinen Bericht überliest man, aber acht Seiten, in denen erzählt wird, wie innovativ, wie Umweltbewusst und wie großartig Kunststoffe sind, bleiben hängen. Deshalb habe ich mir gedacht: ich mache einen Film darüber."

Ich ziehe meine Plastikkugelsichere Weste an und warte was passiert

plastic-planet07plastic-planet05Werner Boote über die Vorteile von Plastik: "Der große Vorteil von Kunststoff ist, dass es billig ist, dass es sehr bequem ist, weil es leichter ist. Ich kann eine Plastikflasche leichter nach Hause tragen. Es können durch Kunststoffe auch tolle Formen entstehen. Man kann Plastik schnell in eine bunte, knallige Form gießen, die einfach gut riecht - nach Phthlaten." Über die Auswahl der Drehorte und Interviewpartner sagt Boote: "Orte und Interviewpartner habe ich ausgewählt aus rein persönlichem Interesse. Ich habe lange recherchiert und für mich entschieden, welche Wissenschaftler vertrauenserweckend erscheinen. Sie habe ich dann über Monate und Jahre begleitet und genauso war es bei den Locations. Ich bin dort hingefahren, wo ich mir gedacht habe: Insel der Natur - das kann ja nur schön sein. Dann habe ich herausgefunden, dass überall ein großes Müllproblem besteht. Diesen Widerspruch habe ich gesucht und gefunden." Über die Angst vor den Mächtigen erklärt der Regisseur, dass er schon öfter in seiner Karriere bedroht wurde. Und: "Wenn man Dokumentarfilme zu heiklen Themen macht, äußern sich Gegner auf mehr oder weniger adäquate Weise. Jetzt ist es die Plastikindustrie, die Ölindustrie und die anderen Branchen, die alle vom Plastik abhängig sind auf Konfrontation. - Ich ziehe meine Plastikkugelsichere Weste an und warte was passiert."

Kritische Fragen bringen ausweichende Antworten

plastic-planet08"Die größten Schwierigkeiten mit den Big Playern der Kunststoffindustrie in Kontakt zu kommen", so Boote über die Probleme während der Dreharbeiten, "war, dass die nicht daran interessiert sind, dass über sie berichtet wird. Selbst die größte amerikanische Sendung '60 Minutes' hat den Boss der Kunststoffindustrie nie vor die Kamera bekommen. Wir haben 18 Monate gedrängt, ein Interview mit John Taylor, dem Präsidenten von Plastics Europe, zu bekommen. 18 Monate kann kein Fernsehsender zeitlich durchhalten. Beim Aufeinandertreffen mit den Interviewpartnern war das Vertrauen aber immer sehr schnell da, weil mein Vater in der Kunststoffindustrie gearbeitet hat. Daher bin ich quasi ein Freund und ich komme aus der Familie. Deswegen hat man mit mir sehr locker geredet. Aber sobald man kritische Fragen stellt, kriegt man ausweichende  Antworten. Die größte Herausforderung war, nicht zu tief in die Materie zu gehen und alle Substanzen genau zu erklären und andererseits nicht zu oberflächlich zu bleiben." Und die Moral von der Geschichte, die Message an das Publikum? Boote: "Ich würde nicht sagen 'Kauft überhaupt kein Plastik mehr'. Das würde nicht funktionieren. Wenn es mir gelingt mit meinem Film die Menschen zum Nachdenken zu bringen, sich zu überlegen nicht mehr so viel Plastikramsch zu kaufen, dann ist es großartig, denn dann haben wir viel gewonnen. Der Film sagt dem Publikum: 'Hallo, werdet ein bisschen aufmerksam in Sachen Kunststoff. Erkundigt euch. Fragt eure Supermarktverkäufer, was dahinter ist und warum nicht auf der Plastikverpackung drauf steht, was da alles für Schadstoffe in mein Essen gehen.' Dann wird die Supermarktkette reagieren und wird sich umstellen. Denn es ist EU Recht, dass der Konsument den Händler fragen darf und, dass der Händler Auskunft geben muss, was in den Produkten drinnen ist. Das weiß nur keiner." Bootes Doku "Plastic Planet" ist ab 18. September 2009 in den österreichischen Kinos im Verleih von Thimfilm zu sehen. //

Text: Manfred Horak
Quelle: www.plastic-planet.at
Fotos: Thomas Kirschner)

Hintergrundinformationen, Fakten, Müll

Die Menge an Kunststoff, die wir seit Beginn des Plastikzeitalters produziert haben, reicht bereits aus, um unseren gesamten Erdball sechs Mal mit Plastikfolien einzupacken. (Zitat aus "Plastic Planet")

Die drei größten Einsatzgebiete für Kunststoffe und "Müllproduzenten" sind:

Verpackungen (33 Prozent)

Bauwesen (25 Prozent),

Elektronik, Elektrotechnik (25 Prozent)

Nur geringe Mengen der Kunststoffabfälle werden recycelt.  Von den jährlich erzeugten 14 Millionen Tonnen Styropor wird nur ein Prozent recycelt.

Daten aus Österreich

In Österreich kommen pro Jahr mehr als eine Million Tonnen Kunststoff zum Einsatz

2006 erfasst das ARA System in Österreich rund 147.000 Tonnen Kunststoffverpackungen. Etwa 10.000 Tonnen Plastik landen zum Beispiel alleine in der Stadt Salzburg jährlich im Restmüll.

Der Mehrweganteil (inklusive Gastronomie) hat sich bei Mineralwasserflaschen in den Jahren 1994 bis 2007 von 96 % auf 24,3 % verringert.

Die Gesamt-Mehrwegquote bei Getränkeverpackungen ist von rund 60% (1997) auf rund 40% (2007) gesunken. Beim privaten Konsum liegt die Mehrwegquote auf nur mehr 24 %.(Quelle: APA.OTS MA 22 präsentiert Studie zu Mehrwegmodellen, 15.6.2009)

Plastikmüll im Meer
Daten, Fakten, wenig Hoffnung

80 Prozent des Kunststoffmülls, die UNO spricht von insgesamt weltweit jährlich rund 6 Millionen Tonnen, gelangen über Flüsse in die Ozeane. Die Meeresschutzorganisation Oceana schätzt, dass weltweit jede Stunde rund 675 Tonnen Müll direkt ins Meer geworfen werden, die Hälfte davon ist aus Plastik.

Laut einer Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) treiben bis zu 18.000 Plastikteile in jedem Quadratkilometer der Weltozeane.

267 verschiedene Tierarten fallen weitweit nachweislich dem Müll im Meer zum Opfer – darunter Schildkröten, Robben, Fische und Krebse. Jährlich verenden etwa 100.000 Meeressäuger qualvoll durch den Müll, jedes Jahr sterben über eine Million Seevögel, wie zum Beispiel Albatrosse, die die Plastikteile irrtümlich als Nahrung zu sich nehmen und damit ihre Küken füttern..

An jedem Strand der Weltmeere ist Plastik zu finden, diverser Kunststoffmüll und Pellets. Plastik baut sich nicht ab, wie natürliche Rohstoffe. Unter Einwirkung von Sonnenlicht, Wellenbewegung und Abrieb zerfallen Plastikstücke in immer kleinere Partikel. Der Sand besteht bereits zu einem gewissen Prozentsatz aus Kunststoff.

Östlich von Hawaii hat sich in der im Uhrzeigersinn drehenden Meeresströmung des Pazifiks ein gigantischer Müllwirbel gebildet, in dessen Zentrum drei Millionen Tonnen Plastikmüll rotieren. Er wächst seit 60 Jahren unbeachtet und ist nach Einschätzung von Wissenschaftlern doppelt so groß wie der US-Bundesstaat Texas. Unter Einwirkung von Sonne, Gezeiten, Wind und Wellen wird der Plastikmüll bis zu winzigen Partikeln zerrieben. In mehreren weiteren Wirbeln im Südpazifik, im Atlantik und im Indischen Ozean fahren ebenfalls Abfälle Karussell, wenngleich in etwas geringeren Mengen.

Wissenschaftler vermuten, dass dieser Plastikmüll gefährliche Umweltgifte wie DDT oder PCB wie „ein Schwamm aufsaugt“. Forscher der Universität Tokio heben an der Oberfläche von Pellets Giftkonzentrationen bis zu einer Million mal höher als im umgebenden Wasser gefunden.

Über die Nahrungskette reichern sich diese Gifte auch in Fischen an, die wiederum auf unseren Tellern landen.

Selbst wenn die Menschheit morgen damit aufhörte, Plastik zu produzieren - die vielen Millionen Tonnen, die bislang in die Ozeane gelangt sind, werden noch Jahrtausende mit den Strömungen um die Welt treiben.