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wolfsbergenDer belgisch-niederländische Kinofilm "Wolfsbergen" von Regisseurin Nanouk Leopold kreist in archaischer Manier um existentialistische Fragen. Über die Wucht der Langsamkeit im Film berichtet Tristan Jorde.

 

 

 


 

"Warum darf ich die Wahrheit nicht sagen?", klagt die in der Midlife Crisis befindliche Enkelin des sterbenskranken Mannes. Sie meint ihre depressive Schwester, meint gleichzeitig auch ihren ihr immer fremder werdenden Mann und vor allem auch sich selbst. In der bedächtig und mit statischen, manchmal sehr harten Schnitten bilderstark erzählten Familientragödie der niederländischen Regisseurin Nanouk Leopold kreist viel um diese Fragen der Identität, der Isolation und des fehlenden Verstehens. Alle Verwandten in dieser tragischen Verflechtung kauen an ihren Zweifeln, an ihrer ureigensten Krise und haben so viel mit sich selbst zu sortieren und zu klären, dass sich inmitten einer wohlsituierten Familiengemeinschaft parallele Einsamkeiten kultivieren.

Ein Brief will nicht ängstigen

wolfsbergen_02Der Großvater leidet unheilbar. Physisch und weil ihm seine Frau schon lange vorher weggestorben ist. Und er schreibt einen Brief, kündigt dabei ohne Anklage, ohne Drohung, ohne Bitterkeit, seinen bevorstehenden Abgang aus dem Leben an. Er fühlt sich zu allein für die Lasten seiner Krankheit. Und fast alle in seiner Familie missdeuten seine Zeilen, fühlen sich bedrängt, irritiert, provoziert, haben jedenfalls gerade jetzt überhaupt keine Zeit, sich der existenziellen Sache anzunehmen. Sie lassen sich auf Affären ein, kapseln sich ab, igeln sich ein, organisieren routiniert ihren Alltag und doch bröselt es an allen Ecken und Enden. Da kommt Opas Brief wirklich zur Unzeit.

Das Alte zerbricht

wolfsbergen_04In fast griechisch-tragödischer Konsequenz verbinden sich die individuellen Fluchtstrategien der Kinder und Kindeskinder zu einem Mahlstrom der Schicksalstreffer. Entdeckte Seitensprünge, hilflose Schönheitschirurgie, Scherben und Selbstverletzung, eruptive Zornesausbrüche, immer wieder die Sucht nach Nähe und ihre scheinbare Unmöglichkeit.
Wie sich die Regisseurin und Autorenfilmerin aus diesen Verstrickungen herauswindet und gekonnt herausfindet, sei hier nicht verraten, aber sie versteht es zu verstören und tief zu berühren. Die durchgehend wunderbaren, sehr authentisch wirkenden Darsteller/innen tragen das ihre dazu bei, dass mich dieser Film trotz aller Schwere der Thematik mit einem Lächeln entlässt. Schöne Bilder, stringente Entwicklungen und viel Menschlichkeit zeichnen dieses bewegende Werk aus. Es ist langsam, aber es trifft mit archaischer Wucht. (Text: Tristan Jorde; Fotos: Stadtkino)

Film-Tipp:
Wolfsbergen (Kinostart: 17. April 2009)
Bewertung: @@@@
Belgien / Niederlande / 2007 / 93 Minuten
Niederländisch mit deutschen Untertiteln
Produktion: Circe Films, Cosmokino
Verleih: Stadtkino Wien
Regie: Nanouk Leopold
Kamera: Richard van Oosterhout
Schnitt: Katharina Wartena
Musik: Loek Dikker
Ton: Hans Helewaut
Mit: Tamar van den Dop, Fedja van Huet, Jan Decleir, Karina Smulders, Catherine ten Bruggencate, Piet Kamerman, Oscar van Woensel