Ein bitteres Vergnügen, das wie ein schriller Pop-Song mitreißt, ist das Theaterstück von Elfriede Jelinek Krankheit oder Moderne Frau am Volkstheater Wien.
Theaterkritik Elfriede Jelinek Krankheit oder Moderne Frau
In der Inszenierung von Claudia Bauer wird die "Moderne Frau" zu einem grotesken Symbol der Revolte: ein Vampir der patriarchalen Ordnung. Wahnsinnig, ungehemmt und frei genug, die Zunge zu zeigen – wie eine Miley Cyrus auf einer Abrissbirne, doch mit deutlich mehr Subtext.
Warum müssen Frauen so sein?!
Der Theatertext von Elfriede Jelinek Krankheit oder Moderne Frau (1987) bleibt auch in dieser Interpretation eine vielschichtige Provokation. Sie, die sich traut, sich nicht mehr nur als Gebärmaschine und Stillapparat zu begreifen, wird zur ultimativen Bedrohung. Lebensgefährlich, wenn sie sich anmaßt, mehr als eine "Freude" für den Mann sein zu wollen. Sie ist eine Vampirin, die dem Mann jegliche Lebensfreude "aussaugt" und ihm ein feines Leben verunmöglicht. Dabei ging es ihnen doch immer so gut! Durch die idiotischen Figuren von Dr. Heidkliff und Dr. Benno Hundekoffer wird der männliche Blick als ein in Selbstmitleid und Trotzigkeit versinkender zurückgeworfen. Süffisanter Kontrast zu diesem emanzipatorischen Kampf – ein Bühnenbild voller surrealer, popkultureller Referenzen: Zuckerlfarben und 50s-Trad-Wife Chic, die eine heternormative Harmonie suggeriert, ehe sie im Laufe der Aufführung genüsslich zerrissen wird. Es poppt, es spritzt und irgendwann geht es so richtig rund, wenn die patriarchalen Strukturen erstmal wanken.
Im Interieur der "Femme Fragile“
Ausgangssituation ist eine aufrechte gesellschaftliche Ordnung, in der Frauen als untergeordnete Leibeigene und Bemutternde ihrer Gatten verstanden werden. So macht auch die Kulisse den weiblichen Körper als gesellschaftliches Allgemeingut für das Publikum zugänglich. Eine Reise in das Innere der Brutstätte, ein Praxisort des Mannes, dort wo er seine Leistung verrichtet, wie es ihm beliebt. Dort macht es den Herren der Schöpfung auch Spaß, solang sie nach Lust und Laune wüten können. Doch im Laufe des Stücks wird deutlich: für Mann wird es unheimlich, wenn es in die Tiefe der Frau geht, Terra Incognita. Was für übernatürliche Kräfte dort verborgen sind, wirkt für Manne schauderlich. Was also, wenn eben dieser Körper nicht mehr besetzbar ist? Die "Moderne Frau" entzieht sich des Zugriffs der Männerwelt. Zunächst als passiv und funktional verstandenes Objekt entwickelt sich der weibliche Körper zum Ort der Fremde, des Unberechenbaren. Die Frau als das Unbehagen in der patriarchalen Gesellschaft.
Die Verschwörung der Weiber
Der Höhepunkt Bauers Inszenierung von Elfriede Jelinek Krankheit oder Moderne Frau gipfelt, genau wie in so vielen wichtigen Momenten im Leben, im Damen-WC: ein apokalyptischer Bündnisraum, fernab männlicher Kontrolle und Zugang. Der Verlust von Dominanz ist eine Bedrohung, eine Verschwörung der Weiber. Lesben als Tod des Mannes. Wenn erst der Mann obsolet ist, nichtmal mehr seine gottgegebene Aufgabe erfüllen kann – was ist er dann? Hysterisch erfassen die Herren ihre eigene Redundanz. Worin verletzter Männerstolz endet, wissen wir leider zu gut aus nationalen und internationalen Nachrichten. Früher haben Frauen Männern so eine Freude gemacht!
Der Aktualitätsbezug ist schauderlich und spiegelt sich in der Sprache wieder, die, je weiter die Spannung sich zuspitzt, zunehmend kollabiert: "Es sind Gedanken wie aus dem Stammhirn des gegenwärtigen Rechtsrucks" (Matthias Seier). Dass die Emanzipation der Frau, ein lästiges Problem der patriarchalen Gesellschaft darstellt ist nichts Neues, und dennoch brennt die Behandlung dieser andauernden Krise dringlicher denn je. Die körperliche Selbstbestimmung von Frauen entfernt sich rapide von einer Selbstverständlichkeit. Errungenschaften des Kampfes um Gleichberechtigung werden Stück für Stück zurückerobert – der Trad-Wife-Kult ein globaler Hype. Selbstzerstörung aus den eigenen Reihen, Rückentwicklung hinzu politisierenden Stammtischparolen über "Fruchtbarkeit" und "natürliche Ordnung". Dabei trauert Elfriede Jelinek selbst um die enormen Rückschritte für die Frauenbewegung weltweit: "Alles, wofür ich gekämpft habe, zerfällt gerade zu Staub."
In all der Wehmut um die schweren Angriffe auf weibliche Autonomie und Emanzipation in unserer Gegenwart, lässt uns Elfriede Jelinek Krankheit oder Moderne Frau in der Inszenierung von Claudia Bauer doch lachen. Scharfe Kostüme, markante Stereotype und dabei charmant vulgär. Schallendes Gelächter in den Reihen, wenn Frau als einfältig typisiert wird. Zum Schluss bleibt keine bequeme Lösung, keine versöhnliche Moral. Jelineks Resignation schwingt mit, kein Happy End, ein Wechselbad von Heiterkeit und Schwere.
Doch sollte eine Erkenntnis uns begleiten dürfen: Man(n) unterschätze nie die Frau. Die Geschichte deckt diesen fatalen Fehler fortwährend auf. Es gab sie immer die Opposition, selbst wenn sie teils aus den eigenen Reihen kam. So erfuhren es schon die Suffragetten, dass andere Frauen sie aus dem öffentlichen Raum zurück hinter den Herd verdammen wollten. Doch eine entfesselte Frau kann nie wieder angebunden werden. Sie kämpft bis zum bitteren Ende. So bleibt es bei der Warnung: Man(n) unterschätze nie die "Moderne Frau". //
Text: Greta Maria Kogler
Fotos: Marcel Urlaub
Nächste Spieltermine:
Volkstheater Wien
09.02.2025
19.02.2025
22.02.2025
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