Das Theaterexperiment Die Recherche-Show im virtuellen Raum vom Volkstheater Wien ist neu, innovativ und unterhaltend. An den Maßeinheiten der Formel Recherche + Show ließe sich aber noch tüfteln.
Red Bull verleiht Recherche
Die Eröffnung des sanierten Wiener Volkstheaters vor Ort muss warten. An einem sogenannten Palindrom-Tag, dem 12.02.2021, passierte zweierlei. Der neue Volkstheaterdirektor Kay Voges trat seine Intendanz, zwei Wochen später als geplant, mit einer gestreamten Premiere an. Die Recherche-Show unter der Regie von Ed. Hauswirth ging am Tag der Veröffentlichung der aktuellen Ausgabe des Magazins Dossier "Live auf Sendung". Das ist kein Zufall. Schließlich basiert das Stück, das eine "Symbiose aus Journalismus und Entertainment“ sein will, auf dem monatelang recherchierten Material der investigativen Rechercheplattform. Am Premierentag wurden auf 100 Seiten "ungesüßte Geschichten“ über den Milliarden-Konzern Red Bull publiziert.
Eingespielter Applaus und Game-Show-Jingle
Das von Theaterabenden bekannte Schhhhhhhhhhh! ploppte nach virtuellem Getuschel im Zoom-Chatverlauf auf. Die Recherche-Show gestaltete sich in Folge als ein bunt-glitzerndes Mashup theatraler und filmischer Mittel im Talkshow-Format mit eingängiger, synthlastiger Live-Musik (Thomas Pfeffer). Unter eingespieltem Applaus und Game-Show-Jingle wurden die drei "Red-Bull-Expert_innen“ als Rupert Michael (Rupert Lehofer), Julia Franz (Julia Franz Richter) und Martina Walter (Martina Zinner) vorgestellt. Gemeinsam nahmen sie auf einer trashigen Couch aus rotem Kunstleder und petrol-farbenem Samt in der Größenordnung des Wetten-Dass-Sofas Platz. Die Ausstattung wie die unisono in schwarz-weißem Hahnentrittmuster gekleideten Gäste hätten früheren Jahrzehnten entsprungen sein können. Aber schließlich beginnt der Mythos um Dietrich Markwart Eberhart Mateschitz - so der volle Name der Legende, die es zu entzaubern galt - ja schon weit vor der Firmengründung von Red Bull in den 1980er Jahren.
Die Recherche-Show - eine "extrem wahre“ Geschichte von Red Bull
Die Moderatorin Pia Hierzegger erinnerte mit ihrer orangefarbenen Pagenkopf-Perücke an Größen wie Chris Lohner oder Vivi Bach. In weißer Bluse mit schwarzer Masche, schwarzer Hose und passendem Jackett - und nicht nur optisch so cool wie Uma Thurman in Pulp Fiction - erklärte sie das Vorhaben des Abends: "Als darstellende Künstler_innen können wir eine Geschichte genau so gut erzählen wie ein Konzern. Und wir möchten die Geschichte von Red Bull so erzählen, wie sie extrem wahr ist.“ Dabei blitzte der Slogan EXTREM - gelesen von einer sonoren Showmasterstimme - in einem 1990er-Jahre-Effektmodus, wie so oft an diesem Abend, über den Bildschirm.
Journalistisch gefärbtes Extremtalkshowtheater
Die Idee, Journalismus und Theater aufeinandertreffen zu lassen, ist gut. Schließlich haben sie eine gemeinsame Schnittmenge. Sie reagieren auf gesellschaftspolitische Entwicklungen und hinterfragen den Status Quo. Nur die Vorgehensweisen unterscheiden sich. Die Recherche-Show als journalistisch gefärbtes Extremtalkshowtheater begründet nach Meinung der namensgebenden Autorin jedenfalls ein neues Genre, und ist vor allem eines: Extrem und ein Fest der Effekte.
Vor dem Hintergrund des silbern-glitzernden Lamettavorhangs wurde ein Blick hinter die Fassaden des Salzburger Milliardenkonzerns Red Bull geworfen.
Das Marketing des Red Bull-Konzerns besteht vorrangig aus Superlativen, deren sich auch die Recherche-Show in ihrer Darbietung und den eingespielten Musik- und Videoclips in perfider Weise bediente und damit die blausilbern-funkelnde Welt von Red Bull pervertierte. Jeder Talkshowgast tat das auf die ihm oder ihr eigene Weise: Da war der geldgeile Rupert Michael, der zur großen Enthüllungsgeschichte so viel beitrug, wie kürzlich eine Gottschalk-Talkrunde zum Thema-Rassismus. Fasziniert von der Red Bull-Familie, deren Teil er nur allzu gern wäre, sah er es mit der Markenregistrierung auf den Cayman Islands oder der nicht ganz so sauberen Umsatzversteuerung des Konzerns nicht wirklich eng: "Passiert mir auch manchmal, dass ich zu spät dran bin mit der Steuer.“
Durchlässige Grenzen zwischen Schein und Wirklichkeit
Kampflustiger gab sich die Expertin für Männerbünde, Julia Franz Richter, die sich die Medien Servus TV und Addendum vorknöpfte. Bald musste sie aber in die Defensive wechseln, als offenkundig wurde, dass auch in ihr ein klein wenig Red Bull Media House steckt. Schließlich hat die Schauspielerin einmal - auf den Pferden von Dietrich Mateschitz reitend - sogar die Hauptrolle in der Servus-TV-Serie Trakehnerblut (2017) gespielt. "An deiner Stelle würde ich auch nicht so eine Serie machen, wenn mein Freund mir alle Rollen schreiben würde“, herrschte sie Pia Hierzegger (mit Josef Hader liiert) an, die, wie es sich für eine ordentliche Rechercheurin gehört, stur nachbohrte. Es machte den Reiz des Recherche-Show Abends aus, als die Grenzen zwischen Schein und Wirklichkeit auch auf der Theaterbühne durchlässig wurden und Red Bull durch alle Ritzen sickerte.
Ein Geruch wie die Stierhoden aus Sankt Marein
Klacks-tschhhh. Martina Zinner wiederum widmete sich der "sinnlichen Seite“ von Red Bull, dem Geschmack, "der sich ins Körpergedächtnis brennt“ und dem Geruch des gold-gelben Getränks, der ähnlich intensiv wie die Stierhoden aus Sankt Marein gerochen haben soll, die an diesem Abend auf Blattsalat serviert wurden. Inspiriert von den 3600 geschützten Wort- und Bildmarken Didi Mateschitz' trug sie einen eingängigen Sprechgesang mit Thomas Pfeffer am Keyboard vor, dessen Aufmachung an die Kostümierungen der amerikanischen Band Devo erinnerte und dessen Sounds nach 1980er Minimal Electro à la Der Plan klangen.
Das kann ned g'sund sein!
Die Auswirkungen, die Red Bull auf das Wohlbefinden hat, wurden - nach Vorstellung der Fakten - ebenfalls erprobt. "Flügerl“ (Red Bull mit Wodka) wurden gekippt, im Hintergrund lief Techno und die Stimme Martina Zinners überschlug sich: "Das kann ned g'sund sein!“ Die Szene hatte zweifelsohne Unterhaltungswert. Ein bisschen mehr Recherche und weniger Show hätte die Recherche-Show dennoch vertragen. Als heimlicher Star entpuppte sich nämlich der zugeschaltete Dossier-Redakteur Georg Eckelsberger. Als das Volkstheater aus dem Zoom-Room flog, startete er notgedrungen eine Solo-Show und versorgte das wissbegierige Publikum zur Überbrückung der technischen Schwierigkeiten mit Hintergrundinformationen. Der Zoom-Chat wurde mit Fragen und Zuspruch geflutet. "Wir wollen mehr hören!“ und "Held Georg!“ kommentierten die Theatergäste, bis die Talkshow wieder On Air ging. Die schlagfertige Moderatorin Pia Hierzegger, die an diesem Abend kein Bulle hätte umhauen können, reagierte auf den technischen Störfall gewohnt cool und improvisierte mit trockenem Schmäh: "Servus TV war da und hat alle Kabel rausgerissen!“
Ein Fest der Effekte
Die Recherche-Show ist innovativ, neu und erfinderisch. Dennoch: Das Theaterexperiment hat seine Schwächen. Die Interaktivität des Stücks beschränkte sich auf Publikumsumfragen wie: "Was würde Sie daran hindern, einen Job von Red Bull anzunehmen?“ oder "Wo waren Sie als Felix Baumgartner gesprungen ist?“. (Kleiner Hinweis: 33% haben den Sprung tatsächlich live mitverfolgt. 12% dachten, dieser sei fake). Auf Kommentare aus dem Chat reagierte die Schauspieltruppe leider nicht. Es blieb bei Schlaglichtern, die in 90 Minuten auf die Mythen und Vergehen des Konzerns Red Bull geworfen wurden. Das Infotainment-Mashup aus Straßeninterviews, Songeinlagen, Live-Zuschaltungen, Publikumsumfragen und Musikvideoeinlagen mit teils psychedelischen Blendeneffekten war temporeich. Das hatte zur Folge, dass die vorgestellten Recherche-Ergebnisse der Plattform Dossier in den Show-Effekten unterzugehen drohten. Die "erlebbare Reportage“ war es darum nicht. Wer es schräg, schillernd und extrem mag, ist bei der Recherche-Show aber genau richtig. Journalistisch aufbereitet sind die „ungesüßten Geschichten“ über das Red Bull-Imperium ja ohnehin in der neuen Ausgabe von Dossier. //
Text: Jutta Steiner
Fotos: Kreation Kollektiv / Volkstheater Wien