Zwei höchst unterschiedliche Arbeiten am Salzburger Landestheater beschäftigen sich mit Sexualität und Geschlechterverhältnissen. "The Rocky Horror Show" und "We should all be Feminists".
Während "The Rocky Horror Show" von Richard O'Brien im Salzburger Landestheater auf humorvolle Art mit Queerness und Travestie spielt, beleuchtet Chimamanda Ngozi Adichi's Text "We should all be Feminists" in den Salzburger Kammerspielen den Begriff des Feminismus und all die Vorurteile, die damit verbunden sind. Wenn in den Gängen des Landestheaters Anzugträger mit spitzbübischem Lächeln Wasserpistolen testen, ist in Salzburg das Rocky Horror Show Fieber ausgebrochen. Da überrascht nicht, wenn ein spärlich bekleideter junger Mann mit offenem Arztkittel durchs Theaterpublikum marschiert, darunter nur Haut und eine Unterhose mit Melonenscheiben-Aufdruck.
Kondome und anderes Spielzeug
Ja, Theater kann sich über den Bühnenraum hinaus ausbreiten, wenn Regisseur Marco Dott, der auf der Bühne auch die Rolle von Frank'n'Furters Diener Riff-Raff verkörpert, das Kultmusical inszeniert. Mit Fanbags gerüstet, wird die Aufführung zum Erlebnis, als eine laszive Stimme zu Partizipation einlädt, fliegt bereits ein aufgeblasenes Kondom durchs Publikum. "Uh, Uh, Uh", tönt es aus den Zuschauerreihen, während das erste Lied aus der Rocky Horror Show erklingt.
Mitmach-Theater für Erwachsene scheint in Salzburg auf fruchtbaren Boden zu fallen, wenn Fans unterschiedlicher Generationen Lichtbänder und (Karton)-Toastscheiben regnen lassen. Auch die Spritzpistole kommt ausgiebig zum Einsatz. Nach einem etwas schlappen Einstiegssong, der so gar nicht zur aufgekratzten Stimmung im Theatersaal passt, steigert sich die Inszenierung. Richard O'Briens Rock-Musicalerfolg "Rocky Horror Show" aus 1972 erzählt die Geschichte eines noch jungfräulichen Paars, Brad und Janet, das aufgrund einer Reifenpanne in einem dubiosen Schloss landet. Gerade zur rechten Zeit, als Hausherr Dr. Frank'n'Furter, ein Mann in schillernden Frauenkleidern, seine neueste Schöpfung aus seinem Laboratorium präsentiert: Einen schon in einem Fitnessgerät geborenen Muskelboy, Rocky, den sich der Hausherr als perfekten Lover geschaffen hat. Der allerdings, wohl wie viele Sprösslinge, seinem Erzeuger Widerstand leistet und mit Janet deren erwachendes Blut feiert.
Herrlich bieder ist in Marco Dotts Inszenierung der Auftritt von Brad (Martin Trippensee), der seine Wohlstands-Bauchpolster stolz vor sich herträgt. Patrizia Unger gibt als Janet eine würdige Besetzung mit gutem Stimmkapital, die ihre sinnliche Erweckung mit Humor zelebriert. Spätestens beim Song "Time Warp" reißt es das Publikum von den Sitzen und bei Frank'n'Furters "Sweet Transvestite" sind die letzten Gehemmten entflammt. Benjamin Oeser - der große Star des Abends - mit einer Stimme, die direkt aus seinem Geschlecht zu kommen scheint, singt die Titelpartie. Bei "Don't dream it be it" sind alle Herzen sperrangelweit offen und selbst Dr. Scott, der Frank'n'Furter überführen will, krempelt die Hosen hoch und zeigt Netzstrümpfe und High Heels.
Kontrastprogramm in den Kammerspielen
Einen schlichteren, weniger exaltierten, aber ebenso humorvollen Ansatz einer Befreiung von längst überkommenen Normen erlebt das Publikum in "We should all be feminists". Der Text der nigerianischen Bestseller-Autorin Chimamanda Ngozi Adichi über ihre persönlichen Erlebnisse als Frau und mit dem Etikett Feminismus, ist liebevoll für die kleine Bühne der Kammerspiele Salzburg inszeniert.
In der Regie von Sarah Henker bestreiten zwei Frauen und zwei Männer all die großen und kleinen Fragen, die sich an dem Thema Feminismus aufreiben. Das Schlachtfeld, auf dem die Definitionen und Assoziationen zu diesem - oft als Zankapfel zwischen den Geschlechtern inszenierten - Kampf gefochten werden, ist passend in Fleisch- und Naturtönen gehalten. Eva Musils rosafarbene Bühnenrückwand ist aus Schaumstoff. Aus einem Spalt in der Mitte bohren sich zuerst Hände, dann Köpfe und Beine. Janina Raspe, Tina Eberhardt, Tim Oberließen und Hanno Waldner sind wechselnde Darsteller und Darstellerinnen der Autorin, die in ihrer Rede ihren Werdegang als Feministin skizziert. Wobei sie die Bezeichnung als eine Etikette beschreibt, die ihr umgehängt wird, als die damals jugendliche Frau noch keine Definition des Begriffs kennt.
Die kluge Inszenierung von Sarah Henker, die mit ihrer Dramaturgin Lea Mantel auch eigenständig Texte einbringt, spielt mit allen erdenklichen Zuschreibungen zu dem heiß umfehdeten Thema. Etwa: Sind Feministinnen unglückliche Frauen? Darf eine Feministin Make-up benutzen, darf sie sich weiblich anziehen? Ist Feminismus unafrikanisch? Dürfen Frauen zornig sein?
Die Frage, ob Frauen die gleichen Chancen bekommen im Berufsleben erübrigt sich mit einem Blick auf die Statistik der Frauen in Führungsetagen und des Gehaltsgefälles zu Männern. Aber "We should all be feminists" lässt auch die Vertreter des Patriarchats zu Wort kommen. "Warum geht es mir so beschissen, wenn ich so privilegiert bin?", bricht es aus Schauspieler Hanno Waldner. Ab welchem Zeitpunkt neue Weltenbürger automatisch Geschlechterrollen zugewiesen bekommen, zeigt eine Szene eindrücklich: Ein Junge und ein Mädchen werden von Kindesbeinen mit Geschenken überhäuft, die ihr soziales Geschlecht einzementieren. "Wir sind alle soziale Wesen, wir internalisieren die Konzepte unserer Sozialisation", heißt es. Am Ende steht eine berechtigte Frage: Warum sei von Feminismus die Rede und nicht einfach von Menschenrechten? Eine zentrale Forderung dabei ist soziale und ökonomische Geschlechter-Gleichstellung die schlussendlich allen dient. Mann und Frau muss nicht Feminist/in sein, um dieses Stück zu mögen. //
Text: © Veronika Krenn
Fotos: © Anna-Maria Löffelberger (The Rocky Horror Show), © Tobias Witzgall (We Should All Be Feminists)
Kurz-Infos:
The Rocky Horror Show
Richard O'Brien
Musikalische Leitung Wolfgang Götz
Inszenierung Marco Dott
Choreographie Josef Vesely
, Kate Watson
Bühne Christian Floeren
Kostüme Conny Lüders
Dramaturgie Christina Piegger
Mit Benjamin Oeser, Patrizia Unger, Martin Trippensee, Marco Dott, Anja Clementi, Sophie Mefan, Christoph Wieschke, Sebastian Smulders, Axel Meinhardt
Phantome Melanie Haberlander
, Anna Knott
, Oliver Mülich
, Cassiano Rodrigues
, Philipp Andreas Sievers
, Josef Vesely
, Kate Watson,
Anna Yanchuk
Rocky Horror Salzburg Band Kurt Gersdorf
, Franz Trattner,
Klaus Kircher,
Tom Reif,
Isabella Trießnig,
Iwan Davies,
Eunjung Lee
Kritik zur Premiere am 05.10.2019 im Salzburger Landestheater
We should all be feminists
Chimamanda Ngozi Adichie
Inszenierung Sarah Henker
Bühne und Kostüme Eva Musil
Dramaturgie Lea Mantel
Mit Tina Eberhardt
, Janina Raspe,
Tim Oberließen,
Hanno Waldner
Kritik zur Aufführung im Salzburger Landestheater (Kammerspiele)
Zu sehen bis 4.12.2019