Die Inszenierung "Je suis Fassbinder" von Amina Gusner überträgt die Gedanken und Sorgen des Filmemachers Rainer Werner Fassbinder ins Jahr 2019.
Nach dem Text von Autor Falk Richter wird in der Wiener Spielstätte Werk X gezeigt, wie spürbar die überwunden geglaubten Probleme einer vergangenen Gesellschaft, zwischen Vietnamkrieg und RAF Terror bis heute nachhallen. 1978 spielte der Schauspieler, Regisseur und gescheiterte Lebenskünstler Fassbinder im Gemeinschaftsfilm "Deutschland im Herbst" sich selbst. Dem persönlichen Abgrund nahe, unterhält er sich vor laufender Kamera mit seiner Mutter über die bröckelnde Demokratie und angstbedingtes Schweigen, das sich wie eine Seuche über das geteilte Deutschland legt.
Heute, über 40 Jahre später, werden in Europa neue Zäune errichtet, wo einst Mauern eingerissen wurden. Die sogenannte Flüchtlingskrise hinterließ 2016 ihre Risse in vielen demokratisch regierten Ländern, unter anderem auch in Deutschland und Österreich. Die Panikmache vor dem Unbekannten, vor Veränderung und vor allen Minderheitsgruppen wurde auf einen Nährboden gestreut, wie Fassbinder es nach den Anschlägen der Roten Armee Fraktion bereits erlebte. Auf der Bühne reden sich die Darsteller und Darstellerinnen in einer Formation in Rage: "Ich will keine Angst haben. Ich will keine Angst haben." Die große Frage scheint damals wie heute dieselbe: Wie geht es weiter in einer Gesellschaft, die von der Angst gespalten ist?
Angst ist nur eines von vielen Gefühlen, die Fassbinder im Gespräch mit seiner Mutter in "Deutschland im Herbst" zu verspüren scheint. In Amina Gusners Inszenierung zeigen die Schauspieler und Schauspielerinnen eine wilde Melange an Emotionen. Dabei schlüpft Schauspieler Martin Hemmer in die Rolle des getriebenen Rainer Werner Fassbinder, der auf der Theaterbühne versucht seinen Film zu drehen. Ein Filmdreh auf der Theaterbühne. Ein Drehbuch im Stück. Intermedialität endet schnell in Verwirrung - und so ist auch bei diesem sich gegenseitig zerfleischenden Filmkollektiv nicht immer klar, wer den Ton angibt. Die Frauen des Casts schreien nach mehr Text. Sie hätten doch viel zu sagen, würde der Regisseur ihnen nur endlich einen Text zuschreiben. Eine Selbstermächtigung der weiblichen Fassbinder Darstellerinnen verhallt trotzdem im Raum, egal, wie laut sie ihren Zorn hinaus brüllen.
Die Gleichberechtigungsfrage zwischen Mann und Frau greift die Inszenierung, neben der politisch verzwickten Lage, immer wieder auf. Es beginnt subtil, wenn die Rolle von Fassbinders Mutter männlich besetzt wird. Und endet plakativ, mit einem Moment des Crossdressings. Elemente, denen sich Fassbinder selbst in seinen Filmen, in den 1960er Jahren als LGBTQ-Vorreiter, bediente. Die Inszenierung zeigt jedes hetero normative Rollenbild in einem kurzen Paardialog, um dieses dann durch seine überspitzte Darstellung zu kritisieren und zu entkräften. Eine alleinerziehende Mutter, die nicht mutig genug für die Liebe ist. Ein treudoofer Ehemann, der nie weiß was seine frisch Angetraute auf ihre Fragen hören will. Gewinner ist keiner. Verlierer sind alle.
So lässt die Inszenierung das Publikum am Ende auch zurück, wenn sich in der Mitte der Bühne ein Haufen aus Darstellern und Darstellerin an Fassbinder klammert. Ein zusammengekauerter Haufen menschlicher Hoffnungslosigkeit. Alle wollten sie ein Teil der künstlerischen Revolution sein, die einen Ausweg findet, aus einer politischen und gesellschaftlichen Gefangenschaft. 1977 war diese Baader-Meinhof. 2015 ist es die rechtsextreme Feindseligkeit, heißt es im Stück. Aus dem Off ertönt zum Schluss die Originalstimme von Fassbinders Mutter. Die Aufnahmen aus dem Film "Deutschland im Herbst" dokumentieren, dass sie sich damals nach einem "netten Führer" sehnte, da dieser als kleinstes Übel erschien. Was "Je suis Fassbinder" nicht erzählt, ist, dass nach "Deutschland im Herbst" 1978 kein Winter folgte. Fassbinder erlebte es aufgrund seines frühen Todes 1982 nicht mehr - doch die Berliner Mauer fiel. Vollendet man den Vergleich zu heute, hinterlässt uns das Theaterstück nicht mit einem Gefühl der Aussichtslosigkeit und Angst, sondern mit der Hoffnung, dass auf den Herbst der Frühling folgt. //
Text: Kim Höbel
Fotos: Matthias Heschl
Je suis Fassbinder
Bewertung: @@@@
Kritik zur Aufführung im Werk X am 28.5.2019
80 Min.
Inszenierung: Amina Gusner
Bühne und Kostüm: Inken Gusner
Musik: Andreas Dauböck
Dramaturgie: Hannah Lioba Egenolf
Darsteller*innen: Annette Isabella Holzmann, Lisa Weidenmüller, Christoph Griesser, Martin Hemmer, Arthur Werner, Andreas Dauböck