Reality Theater von Gob Squad gastiert im brut in Wien - mit im Gepäck haben Sie erstmals "sieben echte lebendige Kinder" als ausschließliche AkteurInnen auf der Bühne. Wer sieht sich hier beim Erwachsenwerden zu?
Ein bisschen wie exotische Ausstellungsstücke wirken die sieben frühpubertären Jugendlichen auf der Bühne hinter Glas in einem Kasten, der zugleich auch als Spiegel fungiert. Der Spiegel - ein altbekanntes, aber immer noch sinnvolles Instrumentarium zum Feststellen des eigenen Ichs als Individuum, zum Begutachten der eigenen Schönheitsdimensionen oder dem Fortschreiten der Zeit am eigenen Alterungsprozesses, ist in diesem vielschichtigen Performancestück auch dem multi-metaphorischen Gebrauch bestimmt.
They love to watch you play
Nicht nur wird den Erwachsenen, für die das Stück explizit konzipiert wurde, der Spiegel der Erwachsenenwelt vorgehalten, sondern die DarstellerInnen werden auch mit ihren eigenen Selbst-Bildern, die sich mit dem Laufe der Zeit, wie ihr Äußeres, ändern, konfrontiert. Auf der Bühne stehen nämlich Laien, allesamt noch nicht erwachsen, und nehmen an ihrem eigenen Transformationsprozess Richtung Zukunft teil. Die freundliche weibliche Stimme aus dem OFF gibt den AkteurInnen Anweisungen wie etwa "They love to watch you play" und verkündet "Sieben Leben im Schnelldurchlauf".
Erkenntnisprozess
Die Begeisterung für den Erkenntnisprozess der 19-jährigen, die sich mit dem 9-jährigen alter ego darüber unterhält, welche andere Sachen sie mit 12 machen kann, hält sich in Grenzen. Wenigstens wäre sie jetzt imstande Sex zu haben und schwanger zu werden oder Sex zu haben ohne schwanger zu werden oder einen ganzen Tag lang im Bett zu bleiben ohne schlechtes Gewissen. Die süßlich-kindlichen Schwärmereien mit 12 wollen nicht mehr gehört werden und Kuscheltiere sind längst out - sehr zum Bedauern der noch kindlichen alter egos, die in der Vergangenheit umhergeistern. Oder sind es die älter-werdenden Dämonen der Kinder, die hier als Surrogate für etwas stehen, das als Zukunft noch außerhalb ihrer Erfahrung bleibt und somit der Erwachsenenwelt des Jetzt angehört?
Von Punkgören zu Wein-Wichtigtuern
Noch stärker ist die Trennung vom ursprünglichen und fremden Ich dann in den 40ern, in denen die jungen Punkgören und Rebellen zu spießigen, unbeholfenen Sushi- und Wein-Wichtigtuern mutiert sind, die sich mit Small-Talk zerreden und mit lauter floskellastigem Geschmeichel gegenseitig ungeheuer nerven. Das Tollste daran aber ist, erklärt Fasteng, ein Akteur, dass man mit 40 etwas erklären kann, ohne es selber verstanden zu haben.
Gehörig aufs Korn genommen
Eine bittere Erwachsenenwelt, in die diese Jugendliche verreisen und über Einsamkeit, Tod und geplatzte Träume sprechen. Nachdem Gob Squad die Kinder 2009 kennengelernt hat und den Text mit ihnen gemeinsam entwickelt hat, ist ein Teil des Textes auch Teil deren Realität und dementsprechend auch ein Spiegelbild dessen, wie sie sich und ihre Umwelt wahrnehmen. Wer redet nun viel über diese "ernsten" Themen? Die Erwachsenen - oder reden die gar nicht darüber und müssen es deshalb die Heranwachsenden erst zum Thema machen? Die Performancegruppe Gob Squad verführt die Zuschauer mit dem Charme der Authentizität junger LaiendarstellerInnen, die den Erwachsenenhabits auf furchterregende Weise perfekt beherrschen und dabei die Erwachsenenwelt und deren peinliches Socialising oder vorgespieltes Gerede um reibungslose Trennungen auch gehörig aufs Korn nehmen. (Text: Kathrin Blasbichler; Fotos: PhileDeprez)
Kurz-Infos:
"Before Your Very Eyes" ist der letzte Teil einer Trilogie, in der das belgische Produktionshaus CAMPO Theaterarbeiten mit Kindern für ein erwachsenes Publikum entwickelt hat.
Bewertung: @@@@
Kritik zur Vorstellung im Brut Wien am 2.10.2011
Konzept, Design, Regie: Gob Squad (Johanna Freiburg, Sean Patten, Berit Stumpf, Sarah Thom, Bastian Trost & Simon Will)
PerformerInnen: Martha Balthazar, Spencer Bogaert, Faustijn De Ruyck, Zoë Luca, Jeanne Vandekerckhove & Ineke Verhaegen
Voice-over: Rigley Riley
Performancecoach: Pascale Petralia Sounddesign Sebastian Bark, Jeff McGrory & Gob Squad
Kostüme: An Breughelmans & Gob Squad
Technik: Korneel Coessens & Bart Huybrechts Bühnenbild Atento Kamera Philippe Digneffe, Pol Heyvaert & Gob Squad
Video-Postproduktion: Miles Chalcraft, Korneel Coessens, Sarah Michelle Harrison, Anna Zett & Gob Squad
Übersetzung: Pascale Petralia & Stephanie Dewachter
Produktionsassistenz: Stephanie Dewachter & Hilde Tuinstra
Kinderbetreuung: Merel Van Den Steen
Tourmanagement: Leen De Broe & Mat Hand
Künstlerische Koordination: Nele De Sloover
Produktionsmanagement: Wim Clapdorp & Christina Runge
Administration: Carl Gydé & Eva Hartmann