Das neue Stück aus der Shakespeareschen Reihe im Burgtheater, Romeo und Julia, welches am 20.9.2007 Premiere feierte, wurde vom Publikum alles andere als begeistert aufgenommen. Kaum zu verkennen waren die schockierten Gesichter und böse Mienen zum grotesken Spiel. Während sich das sehr jugendliche Ensemble rund um Sven Dolinsky (Romeo) und Julia Hartmann (Julia) auf der Bühne tummelte, gab sich das Premierenpublikum ernsthaft erzürnt über die waghalsige Inszenierung von Sebastian Hartmann.
Denn niemals gab es ein so herbes Los
Als Juliens und ihres Romeos
Es stellte sich wohl die Frage, wie diese Interpretation der meist bekannten Liebesgeschichte aller Zeiten zustande kam - denn rein gar nichts entspricht in dieser Inszenierung der Vorstellung einer Geschichte über die süße Liebe und deren Tragödie. Das sich auf pochende Herzen und Liebestaumel eingestellte Publikum wurde bitter enttäuscht und der Erwartungshorizont senkte sich über den brüskierten Häuptern der Abo-Grufties, die sich wohl einig waren, dass diesem Regisseur gar nichts heilig ist. Nicht die bittersüßen Gefühle von Mitleid und trauriger Romantik erfreuen die Herzen der Zuschauer, sondern die realistischere Darstellung des mittelalterlichen Veronas mit all seinen Nöten bringt das enttäuschte Publikum zum Erschaudern. Die klassische Auslegung der tragischen Handlung als Romanze scheint aber eh überholt.
Grundstimmung: Hysterie und Geschmacklosigkeit
Wenig emotional nimmt das Schicksal vorerst seinen Lauf, die Texte wirken auswendig gelernt und werden trocken rezitiert. Dieser Eindruck verläuft sich im Laufe des skurrilen Abends, als sich die Stimmen immer stärker erheben und eine alles umfassende Hysterie auszubrechen droht, die mit emotionaler Realität aber nur wenig gemein hat. (Obwohl, denkt man an Gefühlsausbrüche jugendlicher Pubertierender, scheint ungemäßigte Hysterie doch eine angemessene Reaktion auf die tragische Handlung zu sein.) Hysterie und Geschmacklosigkeit, zwei durchaus angebrachte Termini in Zeiten von Pest und Cholera, bestimmen die Grundstimmung in der Inszenierung von Sebastian Hartmann. Begonnen beim Bühnenbild von Jürgen Bäckmann, dass die in der Pest versinkende Stadt Verona zeigt bis hin zu den Kostümen von Moritz Müller, die vor allem durch viel nackte Haut und gestählte Körper auffielen, ist diese Inszenierung eher an die realistisch- grausliche Seite der Handlung geknüpft als an die romantisch-verklärte. Leicht überfordert, aber dennoch motiviert, wirken die Jungschauspieler in den Jahrtausend-Charakteren Shakespeares.
Julia Hartmann, die Julia vermutlich ganz im Sinne Shakespeares darstellt, ist trotz oder gerade wegen ihrer Jugend eine ideale Besetzung. Naiv und kindlich präsentiert sie den Leidensdruck der Protagonistin. Dagegen ist die Interpretation Bruder Lorenzos (Thomas Lawinky), der eher an einen Drogendealer und einen sehr gescheiterten Priester erinnert als einen seriösen Beichtvater, wohl weniger im Sinne Shakespeares. Humoristische Einlagen gibt die Amme Julias (Kirsten Dene) und erfreut so wenigstens ein bisschen die Zuschauer.
Nach der Pause ist vor der Pause
Schockiert gab sich das Publikum in der Pause: sind doch die Leichenteile, die vom Himmel herab auf die Bühne schneien und die in Verona wütende Pest symbolisieren, alles andere als seinem "guten" Geschmack angepasst. Zu allem Überfluss wird eben diese Szene, mit der sich der Vorhang zur Halbzeit senkt, direkt ein zweites Mal aufgegriffen um die zweite Halbzeit einzuläuten. Der gut gelaunte Teil der Zuschauer lächelte gutmütig in sich hinein, während der brüskierte Part angefressen in sich hinein grummelte - der Theaterabend kann gar nicht mehr gerettet werden! Schlussendlich, nach mehreren Minuten Todeskampf und Endzeitstimmung entließ das Ensemble das angestrengte Publikum, das den Schauspielern applaudierte und freundlich deren Leistungen belohnte. Vielleicht lag es ja am süßen Duft der reifen Melone, welcher sich im Zuschauerraum ausbreitete nachdem sich Romeo daraus seine Innereien angelte, der die Gemüter besänftigte.
Liebesgeschichte im Hintergrund
Dem Regisseur Sebastian Hartmann gelang es mit der Neuinterpretation des Stoffes, dessen Handlung er in die Zeit der Frührenaissance verlegte, auch neue Thematiken aufzugreifen. Trotzdem scheint er mit dieser Fassung über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Denn obwohl auch Shakespeare neben der Liebesgeschichte noch andere Aspekte thematisiert, so stellt diese dennoch den Mittelpunkt der Tragödie dar. Bei Hartmann scheint sie aber eher in den Hintergrund zu verschwinden, da er Themen wie die Pest stark hervorhebt und somit den eigentlichen Kern, nämlich die unglückliche Liebe zweier Menschen, vernachlässigt. Obwohl er den Erwartungen des Publikums nicht gerecht werden konnte, hat er dennoch eine erfrischende Neuinszenierung gewagt, die eine bekannte Geschichte von einer anderen Seite beleuchtet. Für seinen Mut, einen Klassiker der Bühnengeschichte neu aufzubereiten, wurde er auch von vereinzelten Zuschauern, die sich für einen auf jeden Fall unterhaltsamen Abend bedankten, mit Applaus bedacht. (Text: Carina Kerschbaumsteiner; Fotos: Reinhard Werner)