Premierenkritik von "Die sieben Todsünden" und "Katzelmacher" am 20. Jänner 2005 im Jugendstiltheater Baumgartner Höhe. Eine Produktion von Neue Oper Wien.
Brechts Exilzeit ab Februar 1933 vertiefte die gesellschaftskritische Thematik in seinen Texten und mit "Die 7 Todsünden" entstand ein eigenwilliges überhöht ironisches Stück Ballett mit Gesang, in dem die biblischen sieben Todsünden zu Tugenden erklärt werden. Zudem war es die letzte Zusammenarbeit von Bertolt Brecht und dem Komponisten der "Dreigroschenoper", Kurt Weill, geschrieben im Auftrag von Georges Balanchine, uraufgeführt in Paris. Die zentrale Partie der Anna wurde von Weills Gattin Lotte Lenya kreiert, im Konzert aufgeführt oder im Studio eingespielt haben es seither Sängerinnen wie Teresa Stratas, Anne Sofie von Otter, Brigitte Fassbaender, Anja Silja, die Kesslerzwillinge, Milva, Ute Lemper und Julia Migenes. Die Produktion der Neuen Oper Wien im Jugendstiltheater Baumgartner Höhe lässt unbefriedigende Erinnerungen zurück, da "Die 7 Todsünden" als plakatives Spektakel nur allzu plump daherkommt, und selbst die Ironie in der Musik von Weill beiseite schob. Aus einem deutlichen Text wurde eine undeutliche Sprache (nicht nur der Akustik-Probleme wegen), aus der Geschichte des Mädchens Anna aus Louisiana, die in sieben amerikanische Städte zieht (Stationen, die für die sieben Todsünden Faulheit, Stolz, Zorn, Völlerei, Unzucht, Habsucht, Neid stehen), um Geld für ihre Familie zu verdienen, wurde eine Ansammlung bunter Bilder, schreierisch, ohne Verspieltheit. Seltsam blass hingegen die Darsteller, die aber auch unter musikalischen Umsetzung zu leiden hatten. Das Orchester war kaum imstande, die Größe der Weill'schen Musik aufzuzeigen. Kaum zu hören: Die rhythmische Verspieltheit und Ironie der opernhaften Gesten im partiell jazzigen Sound seiner Kompositionen. Selten blitzte orchestrale Dramatik auf, meistens herrschte akzentlose Monotonie. Scheitern gelungen.
Sex nix... Wir gehen andere Haus
Nach der Pause war alles anders. Rainer Werner Fassbinders "Katzelmacher" aus dem Jahr 1968 entwickelte sich zum stolzen Triumpf. Zur Erinnerung: Das Stück widmete Fassbinder Marieluise Fleisser und weist thematische Parallelen zu Martin Sperrs "Jagdszenen aus Niederbayern" aus dem Jahr 1966 auf, in dem es um Fremdenhass und um Verfolgung eines Außenseiters durch die Jugendlichen einer Dorfgemeinschaft in der bayerischen Provinz geht. Bei Fassbinders "Katzelmacher" wird der griechische Gastarbeiter Jorgos von der jungen, dynamischen Wundertüten-Fabrikantin Elisabeth als billige Arbeitskraft angeworben. Die von Langeweile geplagten Jugendliche des Dorfes sind von Jorgos verwirrt. Vorurteile, Misstrauen und Gewalt sind die Folge. Jorgos erhält nur noch die Bezeichnung "Katzelmacher" oder - im Jargon der Nazizeit - "Fremdarbeiter". Selbst die Frauen sind hinter ihm her, wenn auch aus sexuellen Gründen: Gunda, von Jorgos zurückgewiesen, verleumdet ihn jedoch, Marie träumt mit ihm nach Griechenland zu gehen und die Unternehmerin Elisabeth erscheint in der Phantasie der Jugendlichen als Geliebte von Jorgos. Jorgos' Reaktion auf Elisabeths Ankündigung, sie werde einen Türken einstellen, fällt allerdings ebenso rigoros Ausländerfeindlich aus wie die Reaktionen der Jugendlichen Jorgos gegenüber. "Turkisch nix...Jorgos gehen andere Stadt." Besonders originell ist in dieser Produktion nicht nur das Libretto mit dem Mut einfache Sätze wie "Hol mir ein Bier" und "Mir auch" singen zu lassen, sondern auch die hervorragende Neue Musik von Kurt Schwertsik, der mit grandiosen Melodien zu überzeugen vermag. Was bei "Die 7 Todsünden" fehlschlug, funktioniert bei "Katzelmacher", das Orchester verströmte plötzlich Eleganz, Rhythmusgefühl, Frische und Inspiriertheit. Daniela Fally als Elisabeth, Doris Langara als Marie und Dimitrij Solowjow als Jorgos, und mit ihnen alle weiteren Darsteller, machen "Katzelmacher" zu einem wahrlich gelungenen, unbedingt sehens- wie hörenswerten, Ereignis [Interessanterweise gelang es dabei auch die akustischen Probleme weitgehend in den Griff zu bekommen; Anm.]. Teile aus dem Publikum reagierten allerdings leicht befremdlich (wie passend!) als Videos mit - freilich fast bis zur Unkenntlichkeit geändertem - pornografischem Material gezeigt wurden. "Sex nix...Wir gehen andere Haus." Große Melodramatik demnach nicht nur auf der Bühne. Ein Triumph. (Text: mh; Fotos: Armin Bardel)